Analyse. Weltweiter Test für das Web der Zukunft

Berlin (dpa) - Kaum ein Nutzer wird es gemerkt haben, aber am Mittwoch trat die Zukunft des Internets in Aktion. Bei einem weltweiten Aktionstag haben große Online-Konzerne wie Google und Yahoo zusammen mit Infrastruktur-Spezialisten den Einsatz des neuen Internet-Standards IPv6 im großen Maßstab getestet.

Zumindest hierzulande erklärte die Branche den Probelauf zum vollen Erfolg. In Deutschland habe es nach ersten Erkenntnissen keine Probleme gegeben, berichtete der Vorsitzende des Deutschen IPv6-Rats und Leiter des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts, Prof. Christoph Meinel. In Europa insgesamt hätten spezielle Messstellen nur einige punktuelle Schwierigkeiten sichtbar gemacht.

„Es ist alles wunderbar gelaufen“, schwärmt auch Wilhelm Boeddingshaus, der beim Webhoster Strato für die Netzwerk-Technik zuständig ist. Es seien nur vereinzelt technische Kleinigkeiten nachjustiert worden. „Wir werden unsere IPv6-Technik auch nach dem heutigen Tag online lassen.“ Am Mittwoch liefen bei Strato rund drei Prozent des Datenverkehrs über IPv6. Es dürfte deutlich mehr werden, wenn die großen Telekommunikations-Provider ihre Netze umstellen.

Bei dem Testlauf sollten mögliche grundsätzliche Probleme aufgedeckt werden. Als Folge des Tests hätten manche Websites langsamer aufgerufen werden oder zeitweise nicht erreichbar sein können. Allerdings schätzten die Organisatoren schon vorher, dass vielleicht gerade einmal 0,05 Prozent der Anwender irgendwelche Schwierigkeit bekommen könnten.

Denn: Die weitaus meisten Internet-Nutzer sind noch mit dem bisherigen Standard IPv4 im Netz unterwegs und wurden von dem Test überhaupt nicht berührt. Die Stärke des alten Standards kommt alleine schon daher, dass die Internet-Router, die unsere Computer mit dem Netz verbinden, noch entsprechend eingestellt sind, erläutert Boeddingshaus. Und die beiden Formate sind nicht miteinander kompatibel, das heißt, die Infrastrukturen müssen parallel nebeneinander betrieben werden.

Der weltweite Test sollte helfen, Fehler in der Infrastruktur zu finden, die angesichts der noch geringen IPv6-Nutzung langsamer auffallen, erklärt Meinel. Zugleich sollte damit bei Unternehmen für den Umstieg auf den neuen Standard geworben werden.

Der Eckrahmen für IPv6 steht schon seit rund 15 Jahren fest - doch erst jetzt kommt wirklich Bewegung in den Übergang. Der Grund: Im alten Internet wird es eng. Jeder Computer, der im Internet unterwegs ist, braucht eine IP-Adresse - eine Zahlen-Kombination, über die er gefunden werden kann. Das Problem von IPv4 war von Anfang an, dass in den 70er Jahren ein Format gewählt wurde, das maximal vier Milliarden IP-Adressen zuließ. „Das haben wir damals als ausreichend erachtet, schließlich betrachteten wir das Ganze nur als ein Experiment“, erinnert sich Internet-Miterfinder Vint Cerf.

Während vor 40 Jahren vier Milliarden mögliche Adressen als ausreichend erschienen, wurde der Rahmen mit dem Siegeszug des Internet und auch der direkten Kommunikation mit einzelnen Geräten hoffnungslos zu klein. Und der Bedarf wird in den kommenden Jahren noch drastisch steigen. „Wenn Sie zum Beispiel ihr Haus automatisieren, bekommt auch Ihre Jalousie eine IPv6-Adresse“, erläutert Meinel. Oder auch mit dem Internet verbundene Sensoren etwa in Autos brauchen eigene IP-Adressen.

Inzwischen sind die letzten Adressblöcke im IPv4-Standard verteilt. Es wird also richtig eng. Bei IPv6 hat man deswegen gleich Platz zum Reinwachsen gelassen. „Das neue Format stellt 340 Sextillionen Adressen bereit - das sind 600 Billiarden Adressen auf jeden Quadratmillimeter der Erdoberfläche“, rechnet der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco vor.

Durch den parallelen Betrieb der beiden Standards halten sich die möglichen Probleme in Grenzen. „Kunden mit IPv4 merken nichts“, sagt Boeddinghaus. Betroffen könnten nur die Nutzer sein, „die schon IPv6 haben und es noch nicht wissen“.

Die Internet-Branche möchte aus vielen Gründen das Zusammenleben der beiden Standards möglichst rasch beenden. „Der Doppelbetrieb ist auch doppelter Aufwand“, betont Boeddinghaus. Jede Firewall-Regel müsse doppelt gepflegt werden, und auch die Fehlersuche sei schwieriger. Bis zu einem kompletten Übergang auf den neuen Standard werde aber noch einige Zeit vergehen: „Ich denke, dass sich IPv4 in zehn Jahren auf kleine Inseln zurückgezogen haben wird“, sagt der Strato-Experte. Das große Problem in den Netzen der Anwender seien die Router. „Die müssen meistens eine neue Software bekommen. Und das muss jemand aktiv machen.“