Premiere „Ehen in Philippsburg“ - Stuttgart feiert Walser
Stuttgart (dpa) — Die seinem 90. Geburtstag gewidmete Uraufführung seines ersten Romans „Ehen in Philippsburg“ von 1957 hat sich Martin Walser entgehen lassen. Zwar las er noch vor zwei Wochen im Stuttgarter Kammertheater aus seinem Gesellschaftsporträt der Wirtschaftswunderjahre.
Doch die mit kräftigem, wenn auch nicht euphorischem Beifall bedachte Premiere der Bühnenfassung von Stephan Kimmig (Regie) und Jan Hein (Dramaturgie) im großen Haus musste am Samstag ohne den Ehrengast auskommen. Dabei war der Aufwand enorm.
Aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach brachte der Experte Ulrich von Bülow Exponate zur Entstehung der „Ehen“ für eine Ausstellung ins Theatergebäude. Dass das Werk nun 60 Jahre nach Erscheinen auf die Bühne kommt, sei das vorläufig letzte Kapitel einer langen Wirkungsgeschichte, meinte er. Zu sehen ist etwa der Briefwechsel Walsers mit seinem Verleger Peter Suhrkamp, der eine erschreckende Abtreibungsszene gestrichen haben wollte, dann aber doch einlenkte. Dokumentiert ist auch das Urteil seines Freundes und Lektors Siegfried Unseld, der ihm einen „Röntgenrealismus“ bescheinigte.
„Walser meint, die eigentlichen Eheprobleme beginnen, wenn es den Partnern gut geht“, schrieb Unseld. Die Wahrheit zähle hier nicht. „Was verbindlich ist, ist die Konvention des Falschen.“ Auch der von Kimmig und Hein fürs Theater abgespeckte Text verliert nie diesen Ton - und die präzise, bisweilen parodistische Sprache. Mancher im Publikum, der in den 1950ern selbst noch Kind war, fand die Stimmung der Zeit wohl auch dank der Kostüme (Anja Rabes), der Musik und Filmaufnahmen von damals authentisch eingefangen.
In einem weißen Kubus mit hoher Decke und schlanken Säulen und jeder Menge dicker und dünner Vorhänge spielt sich die im Grunde handlungslose Milieustudie einer verlogenen Nachkriegselite ab. Die satten Ehepaare, die ihre Partner betrügen, treffen sich zu rauschenden Festen. Es gibt drastische Sexszenen, die bei Walser immer Thema sind - und zwei Selbstmorde, die ihm nach eigenem Bekunden mehr zu schaffen machten als die vom Verleger als anstößig kritisierte Abtreibungsszene.
Es ist vor allem ein Verdienst der ständig rotierenden Bühne von Katja Saß, dass das textlastige Stück eine lockere Grunddynamik erhält. Ihr Kubus ist mal tempelhafte Villa, mal Bürogebäude, mal Wohnung. Auch eine Windmaschine, die Vorhänge flattern lässt, trägt zur wichtigen Action während des fast vierstündigen Abends bei.
Matti Krause in der zentralen Rolle des Journalisten Hans Beumann - ein Alter Ego des Moralisten Walser - legt auf einem Laufband weite Strecken zurück. Er meistert den Marathon aus langen Monologen mit beachtlicher Kondition. Bravurös. Insgesamt hält die Regie das gesamte Personal in Bewegung; lässt es tanzen, hampeln, singen und schreien. In einer Szene fallen die Hosen; in einer anderen springen Männer halbnackt mit flauschigen rosa Federn am Allerwertesten oder mit Pumps und blonder Perücke über die Bühne.
Das alles dient der Aufmerksamkeit — wie auch das bisweilen hektische Geflimmer und Geflacker des Lichts (Sebastian Isbert). Trotzdem hat das Stück seine Längen, halten nicht alle im Publikum bis zum Schluss durch — nach der Pause sind etliche Plätze leer.
Beumann, der aus kleinen Verhältnissen stammt, bandelt mit seiner Studienkollegin Anne Volkmann (Sandra Gerling) an. Die Tochter eines Fabrikanten verschafft ihm rasch Zugang zur feinen Gesellschaft. Eitelkeiten, Karrieresucht und Heuchelei bestimmen die Verhältnisse. Zum insgesamt schillernden Ensemble gehörte auch der als „Tatort“-Kommissar bekannte Schauspieler Felix Klare in der Rolle des Frauenarztes Dr. Alf Benrath. Mit dabei zudem der abgebrühte Anwalt Alexander Alwin (Paul Grill), der Politiker werden will; der schwule Chefredakteur Harry Büsgen (Horst Kotterba); die herrlich abgedrehte Fabrikanten-Ehefrau Bertha Volkmann (Manja Kuhl).
Und Walser, der am 24. März 90 Jahre alt wird? Er will sich privat eine der nächsten Vorstellungen ansehen, wie eine Sprecherin des Schauspiels sagte. Bei seiner Lesung unlängst hatte er bereits darüber gesprochen, dass Philippsburg der frei erfundene Name für Stuttgart sei. Verarbeitet in dem Buch sind seine Erlebnisse und Beobachtungen, die er damals selbst als Rundfunkjournalist sammelte.