Interview mit Komponist Ludger Vollmer: „Bloß kein Öperchen“

Komponist Ludger Vollmer über seine Jugendoper „Border“ und Ideen, mit denen er das Publikum packen will.

Herr Vollmer, ein Großteil Ihres Publikums ist noch nie mit einer Oper in Berührung gekommen. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit?

Vollmer: Das hat einen großen Einfluss. Eine „erwachsene“ Oper ist in ihrer Dramaturgie viel langsamer. Das junge Publikum hat ganz andere Hör- und Sehgewohnheiten, die etwa durch Internet und Fernsehen durch viel höhere Tempi geprägt sind. Darauf muss ich eingehen.

Wie beschreiben Sie einem Jugendlichen, was eine Oper ist?

Vollmer: Schon seit der Antike kommen Menschen in der Stadt zusammen, reden über das, was im Leben passiert, denken darüber nach. So ist Oper — es werden zentrale Punkte des Lebens und der Gesellschaft verhandelt.

Rock, Pop, Elektro — Jugendliche fühlen sich in den verschiedensten Musik-Genres zu Hause. Warum sollten sie eine Oper besuchen?

Vollmer: Dort kann ich alles live erleben, bin mittendrin, kann mich reinziehen lassen. Bühnenbilder, starke Handlungen — das kann ein Internetvideo nicht bieten.

Sie sind Vater von fünf Kindern, teils noch im Teenageralter. Sind sie Ihre ersten Kritiker?

Vollmer: Meine Kinder nehmen kein Blatt vor den Mund. Wenn ich merke, dass ihr Bauchgefühl mit dem, was ich geschrieben habe, nicht zurechtkommt, kann es sein, dass ich ganze Passagen lösche.

Früher waren Sie Orchestermusiker, heute arbeiten Sie als Auftragskomponist. War das aus wirtschaftlicher Sicht nicht ein Risiko?

Vollmer: Das war ein erhebliches Risiko, vor allem mit Familie. Aber wenn man Künstler ist, muss man sich entscheiden. Das Kreative in mir hat gedrückt — und es war die richtige Entscheidung.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Vollmer: Morgenstund’ hat Gold im Mund — bis zum Mittag bin ich am produktivsten. Den Anfang machen Bleistift und Notenpapier. Wenn ich das Psychogramm für die Figuren entwerfe, gehe ich gern in die Natur. Dann geht es an den Computer — es entstehen Partituren.

„Border“ ist nicht Ihr erstes Werk für Jugendliche. Was machen Sie anders, wenn Sie für Teenager komponieren?

Vollmer: Der Knackpunkt ist, dass man sie da abholt, wo sie stehen. Ich arbeite mit einer schnellen Dramaturgie, die dem Film ähnlich ist. Auf der Bühne geht es schnell zur Sache: rasche Szenenwechsel, harte Cuts. Musikalisch erwartet die Zuhörer eine ganz eigene Klangsprache, ein pausenlos rhythmischer Klangteppich mit starker Melodik. Das bleibt im Ohr. Meine Wurzeln liegen in afrikanischer, orientalischer und in der alten europäischen Musik. Die Jugendlichen sagen, auf der Bühne grooved es. Das packt übrigens auch älteres Publikum.

„Border“ — Grenze — heißt das Stück. Es geht um Grenzüberschreitungen, Flucht, Heimatlosigkeit, Liebe und Gewalt, Emotion und Moral. Schwere Kost?

Vollmer: Oper ist immer schwere Kost, sonst wäre es ein Öperchen. Man darf das junge Publikum auf keinen Fall unterfordern, sonst fühlt es sich nicht ernst genommen und wendet sich ab.

Für das Werk wirken das Ensemble und Studio der Kölner Oper, der Chor der Hochschule für Musik, ein eigens ins Leben gerufener Jugendchor und das Gürzenich Orchester zusammen. Wie klappt die Arbeit zwischen Profis und 15- bis 25-jährigen Laien?

Vollmer: Das klappt fantastisch. Die Jugendlichen haben eine ganz andere Neugier und enormen Wissensdurst. Sie proben länger, aber das Ergebnis unterscheidet sich nicht von dem der Profis. Ihre Darstellung ist anspruchsvoll. Sie singen sehr sauber und bewegen sich dabei wunderbar — übrigens auch in Parcours.

Opern für Kinder und Jugendliche, spezielle Theaterinszenierungen — die klassische Unterhaltung wirbt um Publikumsnachwuchs. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Vollmer: Vor allem müssen lebensnahe Themen auf die Bühne. Schule, Studium, Straße — alles was sie kennen. Sie sind extrem neugierig und haben Spaß an Provokation. Oper muss einfach Lust machen. Wir dürfen nicht vergessen: Schon Mozart etwa hat für junges Publikum geschrieben.

Haben Sie eine Lieblingsmusik?

Vollmer: Meine Heroen reichen von Bach oder Verdi bis zu Freddie Mercury — Künstler, die ihre Musik aus Leidenschaft und Berufung machen, weil diese Musik einfach gemacht werden muss.