Nurkan Erpulat: Punktlandung in Deutschland
Der Türke Nurkan Erpulat wird als Regisseur bundesweit gefeiert und kommt ans Düsseldorfer Schauspielhaus.
Düsseldorf. Die schmächtige Lehrerin hält das Reclamheftchen wie eine Waffe. Das Bedrohungspotential eines Stücks von Schiller hält sich bei ihrer Klasse, die nur aus Migranten besteht, allerdings in Grenzen.
Die Mädchen sind patzig, die Jungs haben ein aggressiv aufgeblasenes Mundwerk. Als einem Schüler eine Pistole aus der Tasche fällt, greift die Lehrerin beherzt zu. Mit der 38er im Anschlag macht sie nun bildungspolitisch Ernst mit Schillers ästhetischer Erziehung.
Es gibt derzeit kein klügeres Stück zur Hybris der kulturellen Bildung und den Bildungsdefiziten von Migrantenkindern als „Verrücktes Blut“ von Regisseur Nurkan Erpulat und Dramaturg Jens Hillje. Beim Berliner Theatertreffen wurde es gerade gefeiert, jetzt kommt es zum „Stücke“-Festival nach Mülheim.
Dieser Erfolg hat Nurkan Erpulat endgültig in die Topliga der Regisseure katapultiert. Derzeit bereitet er Kafkas „Das Schloss“ vor, das im September bei der Ruhrtriennale und später am Deutschen Theater Berlin herauskommt — sein erstes Stück ohne Migrationshintergrund.
Ab September tritt der 36-Jährige auch am Schauspiel Düsseldorf als Hausregisseur unter dem neuen Intendanten Staffan Holm an. Erpulat, 1974 in Ankara geboren, kam vor zwölf Jahren nach Deutschland. Sein Vater ist Beamter in der Armee, seine Schwester Diplomatin im türkischen Außenministerium. Er selbst hat eine klassische Schauspielausbildung in Izmir absolviert und kam zur Fortsetzung seines Studiums nach Berlin.
„Ich war klarer Exot“, sagt er. Als erster türkischer Regiestudent an der renommierten Hochschule Ernst Busch hatte er es nicht leicht. Danach brachte er an Theatern wie dem Ballhaus Naunynstraße und Hebbel am Ufer Stücke über Integration heraus.
So „Lö Bal Almanya“, eine skurrile Auseinandersetzung mit der türkischen Einwanderungsgeschichte in Deutschland zwischen absurden Einbürgerungstests, türkischen Gebärmaschinen und deutschen Volksliedern.
Dass ihm vor allem solche Stücke angeboten wurden, stört ihn nicht, es bestehe schließlich gesellschaftlicher Bedarf an solchen Themen. Er verwahrt sich jedoch dagegen, als Regisseur auf ethnische Bezüge reduziert zu werden. „Lö Bal Almanya“ zeigt auch, welche Rolle die Komik in Erpulats Arbeit spielt.
Sie hat für ihn eine doppelte Funktion: Humor sei Überlebensstrategie und helfe ihm als Selbstironie zugleich, kritisch gegen sich selbst zu bleiben. Unterhaltung allein mache aber noch kein Theater.
Nurkan Erpulat versteht sich als politischer Mensch, er sei bereits mit 16 Jahren in sozialistischen und schwul-lesbischen Organisationen aktiv gewesen.
Auch die Komik in seinen Stücken hat fast immer einen politisch-analytischen Kern. In dem Stück „Jenseits — bist du schwul oder bist du Türke?“ heißt es einmal, dass schwul sein und Türke sein gesellschaftlich zwar ein doppeltes Minus bedeute, zusammen ergebe es aber ein halbes Plus: Ein schwuler Türke rieche nicht nach Schweiß, sei kein Macho und schlage keine Frauen — also schließt ihn die Mehrheitsgesellschaft ins Herz.
Wenn Nurkan Erpulat sich 2012 in Düsseldorf mit David Gieselmanns „Herr Kolpert“ vorstellt, darf man also durchaus mehr erwarten als eine gut geölte Komödienmaschine.