Ruhrtriennale Planschen im Reaktorwasser: Jelineks „Kein Licht“
Duisburg (dpa) - Aus den lecken Behältern sprudelt grüngelbes Atomwasser, die Schauspieler springen darin herum und machen Selfies. Wenn die Menschheit den Atomtod stirbt, dann mit Pauken und Trompeten.
In etwa solche Szenen hat die Österreicherin Elfriede Jelinek 2011 in einer ihrer literarischen Zornesschriften unter dem Eindruck des Reaktor-Unfalls in Fukushima angelegt. Nun ist eine Bearbeitung von „Kein Licht. (2011/2012/2017)“ bei der Ruhrtriennale als Avantgarde-Oper für Fortgeschrittene zu erleben - mit Wasserbällen, Virtual Reality und Neuer Musik.
Am Freitag feierte das Musiktheater-Apokalypsenspektakel von Philippe Manoury (Partitur) und Nicolas Stemann (Regie) Uraufführung in der Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord. Unter großem Applaus für Schauspieler, Musiker und für einen Hund.
Wer Elfriede Jelineks zornig-pessimistische Textwüsten kennt, aus denen Inszenierende sich frei bedienen sollen, der erwartet dabei nicht unbedingt einen roten Faden: Figuren gibt es in Duisburg keine. Es gibt Sänger und Instrumentalisten und die Sprecher A und B - das sind Caroline Peters und Niels Bormann.
„Das könnten vielleicht Musiker sein, erste und zweite Geige“, mutmaßt Dramaturg Vasco Boenisch, „es könnten Elementarteilchen sein, Partikelchen, die sich im Atomreaktor befinden und versuchen zu rekonstruieren, was passiert ist“. Sie sprechen über den Energiebedarf jedes Einzelnen und darüber, dass sie einander nicht hören können. Ein virtuoser Hund betritt die Bühne, dessen Jaulen zu einer Klagemusik verfremdet wird.
Etwas Schlimmes scheint passiert zu sein. Jelinek kalauert: „Da muss etwas in großer Menge austreten gehen, aber wir merken nicht, wohin es sein Wasser abschlägt.“ Die Atomwasser-Behälter entleeren sich im Laufe der 135-minütigen Sinnesschlacht immer mehr auf die Bühne.
Das Ende dieses Stücks über den hilf- und heillosen Energiehunger der Menschen gleicht einer Wasserschlacht: Atomi und die Elektronen tanzen im der überfluteten Bühne zum Weltenbrand, während A und B in gigantischen Wasserbällen feststecken.
Aus dem Computer des Komponisten Manoury erklingt währenddessen wie eine Art Schicksalsrad ein live erzeugter, immer schneller werdender Puls aus synthetischen Klängen. „Das symbolisiert die nukleare Kettenreaktion“, erklärt der französische Avantgarde-Komponist.
Als sei das nicht exzentrisch genug, tritt im letzten Drittel des Stücks plötzlich US-Präsident Donald Trump auf den Plan. Über die Klima- und Atompolitik des Mannes, der Präsident werden wollte, um zu wissen, wie sich das anfühlt, hatte Jelinek zuvor geschrieben.
Zu diesem Zeitpunkt waren Trumps aktuelle nukleare Drohungen gegen Nordkorea noch gar nicht erfolgt. Das Atomthema habe sich „im Verlaufe des Entstehungsprozesses noch einmal sehr erweitert“, sagt Dramaturg Boenisch. Für manchen Inszenierenden wäre es der größte Alptraum, wenn die Realität das Stück überholt.
Manoury aber stört das nicht. Er hat mit seiner Partitur eine kongeniale Entsprechung zu Jelineks Text-Steinbrüchen gefunden. Sie besteht aus 31 Modulen und konnte während der Proben sehr einfach verändert werden. „Wenn ein anderer Regisseur sich das Material vornimmt, kann er es anders anordnen. Das Werk bleibt offen“, erklärt Manoury.
Dramaturg Boenisch spricht von einer neuen Form Oper, die Manoury für die Ruhrtriennale entwickelt hat: „Das ist wirklich eine große Neuerung im Bereich der Oper, dass das Libretto und die Partitur so flexibel sind, noch während des Probenprozesses zu wachsen, zu reagieren oder auch zu agieren.“
Konzept und Sinnes-Sperrfeuer dieses Abends sind ambitioniert. Doch sie funktionieren. Wer sich vor György Ligetis Musik Filmmusik in „2001 - Odyssee im Weltraum“ nicht gruselt, verlässt auch diesen künstlerischen Grenzgang in Duisburg mit wunden Hirnwindungen und wilden Assoziationen.