„Turangalila“: Ein Mosaik der Liebe für Hamburg

Hamburg (dpa) - Zu packend dramatischen Klängen erzählt dieser Abend von Liebe als Lebensenergie, von Leidenschaft, Begehren und Sinnlichkeit - doch er beginnt in Stille und Einsamkeit.

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Zögerlich betritt ein junger, nur mit einem weißen Rock bekleideter Mann (Christopher Evans) die helle, kreisrunde Tanzfläche, die über den Orchestergraben ins Parkett hineinreicht. Er kniet nieder, scheint etwas in seinen Händen zu imaginieren, küsst die Fingerspitzen seiner Linken. Fährt fort mit weit ausholenden Drehungen und Sprüngen, die an Flugübungen eines kleinen Vogels erinnern könnten. Dann erst setzt schwer und wie auftrumpfend das Orchester ein - und nun sind es sieben Männer, die sich erst einmal in einen archaisch wild anmutenden, kraftvollen Gruppentanz zu stürzen scheinen.

Mit der spektakulären Uraufführung seiner Choreografie „Turangalila“ zur gleichnamigen epochemachenden Sinfonie Olivier Messiaens aus dem Jahr 1948 hat der Ballettdirektor John Neumeier am Sonntagabend die 42. Hamburger Ballett-Tage eröffnet. In der voll besetzten Staatsoper feierte das Publikum die Compagnie und ihren Choreografen nach eineinhalb Stunden ebenso wie das aufwendig besetzte und fulminant musizierende Philharmonische Staatsorchester unter Leitung von Kent Nagano.

Mit reichem Applaus bedacht wurden auch Albert Kriemler, Designer der Modemarke Akris, für seine schlichten, asymmetrisch schwingenden Kostüme, sowie Heinrich Tröger, der einen konzertmuschelförmigen Bühnenraum geschaffen hat, in dessen Hintergrund die Musiker sitzen. Damit rücken die Tänzer ungewöhnlich nah an das Orchester und an die Zuschauer heran.

Dem verstörenden Einstieg folgt ein „Chant d’amour“ (Liebesgesang) der beiden Ersten Solisten Hélène Bouchet und Carsten Jung. Zu zunächst satter und lyrischer, dann schräg und stark rhythmisch klingender Musik verkörpern sie innig die Faszination, die Mann und Frau aufeinander ausüben - etwa, wenn der Tänzer mit der auf seinem Rücken liegenden Partnerin in sanften Kreisen schreitet. Sie trägt ein sinnfällig hellrotes Kleid, er einen hellgrauen Rock bei nacktem Oberkörper. In anderen Passagen des Balletts sind die Kostüme auch schwarz, violett oder orange - wohl gewählt, um dem Bewusstsein des französischen Komponisten zu entsprechen, der als sogenannter „Synästhet“ bei Farben Klänge sah und bei Farben Klänge hörte.

Als „Mosaik der Liebe“ hat Neumeier in Medieninterviews sein durchaus rätselhaftes Bühnenwerk bezeichnet. Zur Sinfonie des tief katholisch gläubigen Messiaen (1908-1992), der seine spirituellen Einsichten auch anderen Zeiten und Kulturen entnahm, könne er kein Libretto bieten. Die intensive zehnsätzige Nachkriegs-Komposition, deren Name aus dem Sanskrit stammt und auf ein bestimmtes rhythmisches Muster, auf Tempo, Spiel, Leichtigkeit und Anmut verweist, dient dem Choreografen dazu, für ihn typische klassisch-moderne Tanzimpressionen zu gestalten, die das Publikum zu eigenen Assoziationen anregen dürften.

Bereits seit 1968 hatte sich Hamburgs langjähriger Ballettchef um die Aufführungsrechte bemüht. Doch verwirklichen konnte er sein Projekt erst nach Vermittlung Naganos bei den Erben des Komponisten. Der Dirigent, ein Freund der Familie Messiaen, wirkt seit Beginn dieser Spielzeit als Generalmusikdirektor in der Hansestadt.

„Turangalila“ ist die erste Zusammenarbeit der beiden Amerikaner. Am Ende ihres Abends wird wieder die Einsamkeit der von Evans getanzten Figur stehen - doch dann ist es ein Alleinsein, das sich wie innerlich bereichert anfühlt durch die Liebesstationen, die der Solist als eine Art Identifikationsfigur für den Betrachter durchlaufen hat. Als besonders zauberhaft in Erinnerung bleiben dürfte die „Freude des Sternenblutes“ im fünften Satz, wenn rotgekleidete Tänzerinnen ausgelassen über die Bühne wirbeln. Oder auch die folgende zarte Träumerei „Garten des Liebesschlummers“, in der fünf Paare in Weiß, barfuß und die Frauen mit gelösten Haaren, von Naturverbundenheit und All-Harmonie erzählen.