Wolfram Höll gewinnt erneut Mülheimer Dramatikerpreis

Mülheim/Ruhr (dpa) - Ein Elternpaar erwartet ein Kind. Es weiß, dass das Kind einen seltenen Chromosomendefekt hat und nicht lange leben wird. Für ein Jahr zieht die junge Familie nach Kanada - und ringt mit dem Tod.

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Das Theaterstück des Nachwuchsautors Wolfram Höll ist schwer zu ertragen. Höll aber findet fast lyrische Worte für die existenzielle Erfahrung von Leben und Tod, für Kampf und Verlustangst.

Für das Stück „Drei sind wir“ bekommt der in der Schweiz lebende Höll einen der begehrtesten Theaterpreise Deutschlands, den mit 15 000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreis. Der 1986 geborene Höll entwickelt sich damit zu einem Liebling der Theaterszene. Schon 2015 erhielt der gebürtige Leipziger den Dramatikerpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Und ein Jahr zuvor gewann er erstmals den Mülheimer Dramatikerpreis, damals für sein Stück „Und dann“, das aus der Perspektive eines Kindes vom Verschwinden der Mutter erzählt.

Das Besondere an der Mülheimer Auszeichnung ist die öffentliche Jury-Debatte. In der Regel tagen Preisjurys geheim, ihre Maßstäbe bleiben im Dunkeln, ihre Entscheidungen werden wie weißer Rauch offiziell. Das ist in der Ruhrgebietsstadt ganz anders. In der Nacht sitzen fünf Experten zusammen auf dem Podium im Theater an der Ruhr und machen keinen Hehl daraus, wie schwer ihnen ihre Entscheidung fällt und wie subjektiv letztlich auch ihre Maßstäbe sind.

Dieses Jahr war die Debatte besonders kontrovers, vor allem um das Stück von Höll. Im Rennen waren Hochkaräter der deutschsprachigen Bühnenlandschaft wie Sibylle Berg, Fritz Kater alias Armin Petras, Felicia Zeller, Ferdinand Schmalz, Yael Ronen und Thomas Melle. Am Ende einer zweieinhalbstündigen Debatte hatten Erfolgsautorin Berg und Höll je zwei Stimmen.

Das Zünglein an der Waage war schließlich Franz Wille, Chefredakteur der Zeitschrift „Theater heute“. Er gab seine Stimme Höll, „weil ich denke, dass er mehr riskiert mit dem Text als Sibylle Berg“. Höll erzähle ein „tiefes und existenzielles Thema, das eine gesellschaftliche Brisanz hat“ auf eine verdichtete und „fast lyrische Weise“. „Der Text ist ein Ringen um Worte“, sagte Wille.

Doch in der Jury gab es auch ganz andere Meinungen zu Höll. Manche finden seine literarische Sprache eher manieriert als lyrisch. Auch die Wortakrobatik Hölls, der in der Schweiz Literarisches Schreiben studierte, kommt nicht bei jedem Kritiker gut an. „Die Personen werden für mich nicht spürbar“, sagt Hubert Spiegel von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Die Sprache hat etwas Dauerpathetisches.“

Auch Sibylle Berg wäre nach Ansicht einiger Kritiker „mal dran gewesen“. Doch ihr pointenreiches und boulevardeskes Stück über frustrierte Mütter, das so gut in die aktuelle Diskussion um das Bedauern der Mutterschaft („regretting motherhood“) passt, fiel auf den letzten Metern durch.

Insgesamt 90 Stücke, die in der Spielzeit 2015/16 uraufgeführt worden sind, hat die Jury gesichtet. In früheren Jahren waren es auch schon mal mehr, aber Adaptionen von Romanen und Filmen verdrängen laut Wille immer mehr Eigenkreationen von den Spielplänen. „Die Häuser holen sich die Stoffe, wo sie sie finden.“

Das Rennen in Mülheim war knapp. Als Trost für die Zweitplatzierte Berg blieb der Mülheimer Publikumspreis. Großes Lob, aber eben keinen Preis, bekam auch der Bonner Autor Thomas Melle für sein erschütterndes Stück „Bilder von uns“ - die fiktionale Aufarbeitung des Missbrauch-Skandals am katholischen Bonner Aloisiuskolleg. Melle war dort selbst zur Schule gegangen.