Zum Auftakt ein Volltreffer
Die Rheinoper präsentiert zur Spielzeiteröffnung „Peter Grimes“ von Peter Grimes und „Salome“ von Richard Strauss.
Düsseldorf. Glückwunsch! Das neue Rheinopern-Leitungsteam hat gewonnen, und das mit einem so düsteren Werk wie der Oper "Peter Grimes" des britischen Komponisten Benjamin Britten (1913-1976), deren Titelfigur ein düsterer, abgründiger Fischer von der englischen Ostküste ist und im Dorf als Außenseiter gilt.
1945 in London uraufgeführt, ist sie erst jetzt hier angekommen; es sollten weitere aus Brittens reichem Opern-Oeuvre folgen. Zu bewundern ist nun ein musiktheatralisches Gesamtkunstwerk von höchstem Rang, das das Konzept von Axel Kober (musikalische Leitung), Immo Karaman (Regie), Fabian Posca (Choreografie), Kaspar Zwimpfer (Bühne), Nicola Reichert (Kostüme), Volker Weinhart (Licht) und Gerhard Michalski (Chor) stringent umsetzt.
Das Publikum lag den Künstlern zu Füßen - zu Recht. Denn wie der neue Opern-Generalmusikdirektor Kober die Düsseldorfer Symphoniker, Sänger und Chor leitet, so hat man weder das Orchester noch diese Oper je zuvor gehört.
Kobers Prinzip ist es, musikalischen Entwicklungen Zeit und Raum zu lassen. Die Instrumente dürfen sich solistisch mit Arpeggien, Kantilenen oder fahlen Flageoletts zum Singen und Klingen bringen, Pauke, Trommel, Geige, Flöte, Harfe, Cello, Bratsche, dann die Klarinette mit peinigend gut herausgearbeiteten Schraffuren.
Das Orchester spielt nicht nur, es ist die Musik. Beschwört der Chor furchterregend die nahende Sturmflut, fegen Flötenflutwellen schreiend durchs Haus, doch auch weinen darf hier die Seele. Für die Meer- und Himmelsfarben braucht es kein Kunstlicht - die Musiker lassen Elemente toben, Wellen glitzern, Sonnen funkeln.
Nicht nur dem Chor, der wie in Schönbergs "Moses und Aron" das heuchlerische Volk, eine gesichts- und charakterlose Masse, pöbelnden Mob auf Opfer-Hatz darstellt, weist Axel Kober dirigierend den Weg - auch dann, wenn er in einer verborgenen Kirche mit einem Choral die Ahnung einer anderen Welt aufzeigt, dann wieder den vermeintlichen Kindertöter Grimes zur Lynchjustiz freigibt.
Orchestral niedergespielt wird hier keiner der erlesenen Solisten: der mit Timbre, Darstellung und Brillanz packende Tenor Roberto Saccà als harscher, gleichwohl zerquälter Peter Grimes, die Sopranistin Gun-Brit Barkmin als Dorflehrerin Ellen Orford, die Grimes mit elegisch oder dramatisch eindringlichem, bildschön biegsamem Ton verteidigt, Tomasz Konieczny als Kapitän Balstrode, Jane Henschel als dralle Barbesitzerin Auntie oder Rebecca de Pont Davies als opiumsüchtige, bigott keifende Tratsche - alles Künstler der Weltklasse. Glanzvolles lassen auch die Ensemble-Mitglieder Sami Luttinen und Bruce Rankin genießen.
Zwimpfers Bühne ist eine bezwingende Bildvision, die Meeresgrund, Erdboden und All vereint, einzige Bildmetapher sind morsche Planken. Hinabgezogen bis in den Orchestergraben, sind sie ebenerdig wechselnd Grimes’ Boot, im Keller auch noch die Bar, wo sich sonntags die Honoratioren des Dorfes, Pfarrer, Polizist, Richter und Anwalt, mit den Huren treffen.
In der Front zeigen sie eine Reihe verrottender Haustüren wie aus Irland, nach der Sturmflut dienen sie, vom Schnürboden hochgezogen, als apokalyptisches Schreckbild zerborstener Häuser. Bis auf die sündig rotglühende Bar und grüngelb-violette Sturmwolken herrscht finster-fahles Licht.
Wenn dann auch dieser Lehrjunge (Ivaldo Bessière) von Grimes über die Klippen gegangen ist und Balstrode den Fischer auffordert, "sich selbst zu richten", ahnt man, dass dieser, schuldig oder nicht, aufgibt. Seine Sehnsucht war es - anrührendste Szene -, mit Ellen vereint zu sein, mit ihr und Kindern in einem Haus im Grünen friedlich zu leben. Und man weiß auch, dass Ellen, die vergebens für Grimes um Erbarmen fleht und schon jetzt am Boden liegt, das nächste Opfer allzeit latenter fanatischer Massenhysterie sein wird.