Anthony Hopkins: „Ich denke nie an morgen“

Schauspieler Anthony Hopkins ist als Alfred Hitchcock im Kino zu sehen. Die zusätzlichen Kilos für die Rolle sind zum Glück nicht echt.

Düsseldorf. Oscar-Preisträger Anthony Hopkins („Das Schweigen der Lämmer“) zieht es nur noch sehr selten vor die Kamera. Viel lieber spielt er Klavier oder malt Acrylbilder, die er an Galerien in aller Welt verkauft. Aber die Chance, den legendären Filmemacher Alfred Hitchcock zu verkörpern, wollte er sich dann doch nicht entgehen lassen: „Ihn zu spielen war eine große Ehre für mich. Aber für die Rolle habe ich Blut und Wasser geschwitzt.“

Herr Hopkins, was passiert mit Ihnen, wenn Sie sich in Alfred Hitchcock verwandeln?

Anthony Hopkins: Das Wesentliche ist der körperliche Effekt. Hitchcock war ja ein sehr korpulenter Mann. Und natürlich habe ich mir nicht 30 oder 40 Kilo für die Rolle angefressen. Das war alles Make-Up, Prothesen und ein Fatsuit. Der alleine wog schon zehn Kilo und ihn zu tragen hat mich wahnsinnig ermüdet. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn man wirklich so schwer ist. Das muss schrecklich sein. Man kann sich weder die Schuhe zubinden noch sich frei bewegen.

Sie sind vor kurzem 75 geworden. Wie halten Sie sich gesund und fit?

Hopkins: Ich achte auf eine vitaminreiche und ausgewogene Ernährung. Ich trinke — als ehemaliger Alkoholiker — schon seit über 30 Jahren keinen Tropfen Alkohol. Und ich halte mich mit Joggen, Fahrradfahren, Pilates und Gewichtheben in Form.

Zählt Hitchcock eigentlich zu Ihren Lieblingsregisseuren?

Hopkins: Auf jeden Fall, aber ich bewundere Hitchcock nicht nur für seine Filme, sondern auch als Persönlichkeit. Ich glaube, er war ein sehr empfindsamer und sensibler Mann, der in diesem riesigen Körper gefangen war. Und er hat seine romantischen Sehnsüchte immer auf seine Schauspieler projiziert. In vielen seiner Filme gibt es wunderbar starke Frauen-Figuren. Und dann die Männer: Ich bin mir sicher, er hätte sehr gerne so ausgesehen wie Cary Grant oder James Stewart. Das tat er nicht. Er sah aus wie Humpty-Dumpty. Er aß zu viel, trank zu viel, war narzisstisch, obsessiv, stolz — und zugleich ein großer Romantiker. Das darzustellen hat mich sehr fasziniert.

Wie narzisstisch sind Sie?

Hopkins (lächelt): Mein Narzissmus hält sich, glaube ich, in Grenzen. Aber wie wohl alle Männer bin ich sehr stolz. Männer reden nicht viel über ihre Gefühle. Sie ertragen die Dinge des Lebens eher stoisch. Ich bin jedenfalls meist hermetisch verschlossen. Psychisch wie emotional. Das ist ein Unvermögen. Männer denken viel zu sehr in engen Grenzen: Leistung. Erfolg. Anerkennung. Den Rivalen ausstechen. Frauen sind da ganz anders. Sie öffnen sich, sprechen über das, was sie bewegt.

Was war denn das Wichtigste, das Ihnen das Leben beigebracht hat?

Hopkins: Dass ich jetzt die Wirklichkeit akzeptieren kann. Ich habe mich darüber erst vor kurzem mit einem sehr nahen Freund unterhalten. Er ist übrigens unlängst an Krebs gestorben. Ich habe ihn noch im Krankenhaus besucht. Drei Tage vor seinem Tod. Ich fragte ihn: „Warum lässt du nicht einfach los?“ Er hat nichts darauf geantwortet. Ist das nicht höchst seltsam? An einem Tag bist du noch da. Am nächsten weg. Das schockiert mich immer noch.

Lähmt das Ihren Lebenswillen?

Hopkins: Nein, es lähmt mich nicht, es fokussiert mich. Der große Psychoanalytiker Carl-Gustav Jung meinte: „Ab einem gewissen Alter — meistens in der Mitte des Lebens — stehen wir auf dem Berggipfel und sehen am Horizont das Ende des Lebens.“ Wie recht er hat. Wenn man jung ist, sieht man das nicht. Da denkt man, man ist für immer unverwundbar. Aber wenn man sich bewusst macht, dass das Leben irgendwann einmal zu Ende geht, dann gibt einem das eine große Lebensenergie. Dann erkennt man die Schönheit des Lebens erst so richtig. Auf mich trifft das jedenfalls zu. Ich will wirklich — carpe diem! — aus jedem Tag das Beste machen. Ich denke nie an morgen.

Wie oft im Leben haben Sie sich schon neu erfunden?

Hopkins: Gute Frage. Eine ganz wesentliche Veränderung in meinem Leben war, dass ich Ende der 90er Jahre England ein für alle Mal den Rücken gekehrt habe und nach Los Angeles gezogen bin. Endlich fühlte ich mich frei und ungebunden. Und das schöne Wetter gab es noch als Zugabe.

Sie scheinen Ihr Leben in vollen Zügen zu genießen . . .

Hopkins: . . . ja, aber das war allerdings nicht immer so. Früher hatte ich starke Depressionen und litt sehr unter Angstzuständen. Früher habe ich mich eigentlich immer als Außenseiter, als Verlierer gefühlt.

Warum eigentlich? Sie sind doch seit Jahrzehnten sehr erfolgreich.

Hopkins: Das hatte weniger mit der Schauspielerei und mehr mit meinem Weltbild zu tun. Ich fühlte mich nie richtig dazugehörig. Ein Beispiel: Fast jeder, der in den 60er Jahren in London einem kreativen Beruf nachging, dachte, er wäre im Paradies. Ich nicht. Ich habe die „Swinging Sixties“ gehasst.