Bären-Gewinner Taviani: Shakespeare und Mafiosi

Berlin (dpa) - Die Brüder Paolo (80) und Vittorio (82) Taviani drehen seit Jahrzehnten Filme zusammen. Darunter waren auch politische Werke wie ihr Welterfolg „Die Nacht von San Lorenzo“ (1982), der sich mit der Zeit des Faschismus auseinandersetzt.

Für ihr aktuelles Werk „Cäsar muss sterben“ gingen die beiden Italiener in den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses in Rom, um mit den Insassen Shakespeares „Julius Cäsar“ zu inszenieren. Fast alle Darsteller waren Laien, viele der mitspielenden Häftlinge gehörten der Mafia an und verbüßen lebenslange Haftstrafen. Welche Parallelen es zwischen Shakespeares Stück und dem Leben der Insassen gibt und was Kunst bewirken kann, erzählten die Taviani-Brüder im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa, nachdem sie am Samstagabend für ihren Film mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden waren.

Warum haben Sie sich entschieden, mit den Gefängnisinsassen „Julius Cäsar“ von Shakespeare zu verfilmen?

Vittorio Taviani: „Es gibt im Film eine sehr wichtige Szene: Marcus Antonius sagt zu Brutus "Du bist ein Ehrenmann". Dazu muss man wissen, dass auch die Mafiosi als Ehrenmänner bezeichnet werden. Also die Mitglieder der Mafia, der Camorra - die der organisierten Kriminalität. Da gibt es gewissermaßen einen Einklang, eine Parallele. Denn die Gefängnisinsassen haben Figuren interpretiert wie zum Beispiel Brutus, der einen Mord begeht. In Shakespeares Stück gibt es Morde, Verrat, Verschwörungen, Macht - lauter Dinge, die die Darsteller auch aus ihrem vergangenen, ihrem echten Leben kennen. Blut, Mord: Das war ihr tagtägliches Leben. Durch uns und durch unseren Film haben sie ihr Leben mit Shakespeares Welt verbinden können.“

Wie war es für Sie, mit den Insassen zu drehen?

Vittorio Taviani: „Wir haben durch den Film und das Drehen eine andere Welt entdeckt, eine ganz wichtige und für uns neue: dieses Gefängnis. Es war auch eine neue Entdeckung für uns, diese Insassen zu sehen und wie sie gespielt haben. Wichtig war auch, dass mit unserem Film die Kunst zu ihnen kommt. Mit uns ist die Kunst in diese Menschen hineingekommen.“

Können Sie das genauer erklären?

Vittorio Taviani: „Das zeigt die letzte Szene sehr gut. Da sagt der eine Insasse beziehungsweise Darsteller: "Seitdem ich die Kunst kennengelernt habe, ist diese Zelle ein Gefängnis für mich geworden." Das verdeutlicht einen Lernprozess. Auch etwas sehr Schmerzhaftes, denn den Insassen wurde ja auf diese Art und Weise noch deutlicher, dass diese Welt da draußen für sie tabu, unerreichbar ist.“

Der Film wirkt wie eine Mischung aus Dokumentation und fiktivem Spielfilm. Warum haben Sie diese Darstellungsform gewählt?

Vittorio Taviani: „Wir unterscheiden nicht so gerne zwischen Dokumentarfilm und Film. Unabhängig davon, ob ein Film eine Dokumentation oder ein Film ist, ob in Schwarz-Weiß oder Farbe, mit Laiendarstellern oder Profi-Schauspielern gedreht: Wichtig ist einfach, dass der Film einen eigenen Sinn hat, eine eigene Identität. Er atmet auf seine eigene Art und Weise. Deswegen ist es unwichtig, wie man den Film bezeichnet.“

Sie haben in Ihrer Karriere schon viele Preise gewonnen. Was bedeutet Ihnen der Goldene Bär?

Paolo Taviani: „Das ist ein ganz wichtiger Preis für uns. Denn das ist für uns eine ganz neue Art des Films, wenn man so will. Das ist eben ein Film, den wir im Gefängnis gedreht haben. Das sind Schwerkriminelle, die lebenslänglich bekommen haben. Das war wie gesagt eine völlig neue Erfahrung für uns als Filmemacher. Dafür einen Preis zu bekommen, ist sehr schön. Es ist aber auch eine sehr wichtige Auszeichnung, weil wir nun nach Hause gehen können, zu den Insassen und ihnen sagen können: "Dank eurer Arbeit haben wir diesen Preis gewonnen!" Und das ist sehr wichtig für die Insassen.“

Interview: Aliki Nassoufis, dpa