Bedrückende Premiere von Kampusch-Film
Wien (dpa) - Der Film „3096 Tage“ ist bedrückend, und die schwierige Fortsetzung liefert die Realität bei der Premiere gleich dazu. Wortlos tritt das österreichische Entführungsopfer Natascha Kampusch am Montagabend vor die Plakate des Films über ihr Schicksal bis zur Flucht.
Verkrampft lächelnd posiert die 25-Jährige im schwarz-rot gemusterten Kleid und roten Stiefeletten im Bitzlichtgewitter. Sichtlich irritiert von den „Natascha, wie geht's dir“-Rufen der Dutzenden Journalisten, die trotz vereinbartem Interviewverbot noch ein Wort erhaschen wollen. Die Premiere sei für sie ein sehr, sehr bewegendes, intensives und außergewöhnliches Ereignis gewesen, lässt sie am Dienstag der dpa mitteilen. Sie sei immer noch tief bewegt.
Zuvor hatte sie die Premierengäste in einem eher tristen Kino in einem Einkaufszentrum am Wiener Stadtrand etwa eine halbe Stunde warten lassen. „Da kommt sie“, witzelt ein Mann in Anspielung auf ihre Entführung, als ein weißer Lieferwagen vor dem Eingang vorbeifährt. Ein anderer lästert obszön über ihre Darstellungssucht.
Eine junge Frau schiebt eine gelähmte Frau im Rollstuhl an den roten Teppich, die ihrem Idol Blumen überreichen will: „Das ist alles eine Neidreaktion, weil die Leute wissen, dass sie möglicherweise solch ein Schicksal nicht so gut überstehen würden“, sagt Kampusch-Fan Marianne aus Wien, die ihren Nachnamen nicht nennen will.
Anders als im Ausland schlägt der vor 15 Jahren als Kind entführten jungen Frau in ihrer Heimat Österreich viel Kritik bis hin zu Hass entgegen. Ihr achteinhalb Jahre dauerndes Leid in einem Kellerverlies wird öffentlich angezweifelt, Boulevardzeitungen „enthüllen“ immer wieder intime Details, ihr wird sogar teilweise eine Imageschädigung Österreichs vorgeworfen. Sie gehe nicht mehr gern allein auf die Straße, erzählt Kampusch in einem ORF-Interview. Momentan erhalte sie aber auch täglich sehr viele positive Briefe, über die sie sich sehr freue, lässt sie der dpa mitteilen. Die Kritik habe sie als Teil ihres Alltags akzeptiert.
Zur Weltpremiere des auf ihrer gleichnamigen Autobiografie basierenden Films, der am Donnerstag in den deutschen Kinos startet, lässt sich so gut wie keine Prominenz sehen. Dafür kommen Zeitzeugen wie ihre Eltern und Behördenvertreter. „Es ist eine Heldengeschichte“, kündigt Regisseurin Sherry Hormann den Film an. Die Kraft von Kampusch sei stärker gewesen sei als das ihr auferlegte Schicksal.
Während der rund zweistündigen Vorstellung ist es im Kinosaal Vier absolut still. Nach dem Ende setzt nach einer betretenen Pause Applaus ein. Mit bewegten Gesichtern und Tränen in den Augen verlassen viele Besucher den Saal.
Kampuschs Vater läuft aufgewühlt vor Journalisten weg: „Lassts mich in Ruhe.“ Auch Kampuschs Mutter ist gekommen und verlässt allein das Kino. Der Umgang mit ihrer Familie sei sehr schwierig, sagte Kampusch zuvor dem ORF: „Wir haben alle erwartet, dass der jeweils andere so sein soll wie früher.“ Es werde aber nicht leichter: „Jeder hat sich verändert im Schmerz.“
Sie habe gar nicht gewusst, dass Kampuschs Schicksal so schlimm gewesen sei, sagt die Wienerin Eva Dvorak nach dem Film: „Sie drängt sich schon ein bisschen in die Öffentlichkeit, allerdings hat sie auch das Recht dazu.“ Das ganze Ausmaß des Schreckens habe sie im Film schockiert: „Es ist gut, dass das jetzt in Österreich herauskommt.“
Ob der Film einen anderen Umgang mit Kampusch auslöst, sei zu bezweifeln, schreiben die „Vorarlberger Nachrichten“ am Dienstag: „Wenn der Film wachzurütteln vermag, kann das Projekt auch gut sein, wenn es Natascha Kampusch irgendwie hilft, dann ist es das sowieso. Es stellt sich jedoch die Frage, ob davon auszugehen nicht zu naiv ist.“