Berlinale mit „gewissem Kreischeffekt“

Berlin (dpa) - In zehn Tagen ist es soweit: Die 62. Berlinale wird eröffnet. Fast 400 Filme zeigen die Internationalen Filmfestspiele Berlin vom 9. bis 19. Februar.

Um den Goldenen Bären konkurrieren im offiziellen Wettbewerb 18 Regiearbeiten. Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa sprach Berlinale-Direktor Dieter Kosslick (63) über Stars und den „gewissen Kreischeffekt“, den Stand des deutschen Films im In- und Ausland und die Schwierigkeiten bei der Filmauswahl.

Es wird wieder sehr glamourös bei der Berlinale. Welche Stars werden das Herz der Filmfans besonders schnell schlagen lassen?

Kosslick: „Ich schätze, das passiert in dem Moment, in dem Shah Rukh Khan aus dem Auto steigt und direkt hinter ihm Angelina Jolie ankommt. Da könnte es durchaus sein, dass es einen gewissen Kreischeffekt gibt. Wenn im dritten Taxi dann noch Robert Pattinson sitzt, dann könnte es sehr laut werden. Aber die Auftritte werden an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten stattfinden... Wenn wir Meryl Streep den Ehren-Bären überreichen, dürfte das auch ein ganz besonderer Abend werden.“

Welche Themen beschäftigen die Regisseure, die mit ihren Filmen im Wettbewerb um den Goldenen Bären konkurrieren?

Kosslick: „In allen Sektionen gibt es Filme, die sich mit Umbrüchen und Aufbrüchen beschäftigen - gesellschaftlichen und politischen wie auch privaten Umbrüchen. In den deutschen Wettbewerbsfilmen „Gnade“ von Matthias Glasner, „Barbara“ von Christian Petzold und „Was bleibt“ von Hans-Christian Schmid spielen private Umbrüche eine große Rolle. Aber auch den sogenannten Arabischen Frühling, den Aufbruch in Afrika und anderen Ländern, haben wir als Thema in den Filmen - viele der Aktivisten haben wir eingeladen. Das zieht sich durch den Wettbewerb mit Regiearbeiten wie „Aujourd'hui“ von Alain Gomis über einen Senegalesen, der die Umbrüche in seiner Stadt wahrnimmt und „Rebelle“ von Kim Nguyen über eine afrikanische Kindersoldatin aus dem Kongo. Es geht um die Folgen von Globalisierung, um Migration, Zensur von Künstlern und um Demokratisierungsprozesse. Auch zu den Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima gibt es erste Filme.“

Die deutschen Wettbewerbsteilnehmer Christian Petzold, Matthias Glasner und Hans-Christian Schmid könnte man als Vertreter einer neuen deutschen Innerlichkeit bezeichnen. Das deutsche Kinopublikum stürmt derzeit aber vor allem in leichte Komödien von Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Kosslick: „Das Positive am neuen deutschen Kino ist, dass es viele Genres und viele unterschiedliche Arten von Filmen gibt, die viele unterschiedliche Menschen ansprechen. Eine Filmkultur, eine Filmindustrie zeichnet sich dadurch als gesund aus, indem es sehr viele unterschiedliche Filme gibt und man nicht alles über einen Kamm scheren kann - wie das zum Beispiel vor 20 Jahren war, als es mal drei Jahre Komödien gab. Das Arthouse-Kino ist heute lebendiger denn je, aber das kommerzielle deutsche Kino auch.“

Petzold, Glasner und Schmid sind ja schon Stammgäste im Berlinale-Wettbewerb...

Kosslick: „Jeder hat Stammgäste, wir auch. Natürlich hat ein Festival nicht nur die Verpflichtung, Autoren und Regisseure zu pflegen, sondern empfindet auch eine künstlerische Solidarität - neben der Aufgabe, neue Filmemacher zu finden und etablierte Regisseure zu zeigen. Aber wir würden das nicht machen, wenn uns die Filme nicht gefallen würden. Ich bin aus der Phase heraus, dass ich deutsche Filme programmieren muss, um zu beweisen, dass ich hinter dem deutschen Film stehe. Der deutsche Film hat in den vergangenen zehn Jahren auf der Berlinale abgeräumt, viele Bären sind an Filme und Schauspieler gegangen. Die drei diesjährigen Wettbewerbsteilnehmer sind extrem unterschiedliche Filme. Was ihnen aber gemeinsam ist: es geht um private Geschichten.“

Welchen Stand hat der deutsche Film derzeit im Ausland?

Kosslick: „In unserem Filmmarkt und auch auf anderen Filmmärkten werden deutsche Produktionen sehr gut verkauft. Sehr viele Filme aus unserem letztjährigen Programm sind inzwischen auf mindestens 200 Filmfestivals in aller Welt gelaufen und haben Preise gewonnen - nicht nur der iranische Berlinale-Gewinner „Nader und Simin. Eine Trennung“ oder Wim Wenders „Pina“. Zum Beispiel auch Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit“, der in Deutschland nicht so gut lief, aber in New York beim Filmfestival super ankam.“

Wie viele Filme haben Sie für die diesjährige Berlinale gesehen?

Kosslick: „Mehr als 200. Ich schaffe vier bis fünf Filme pro Tag. Das ist nicht so witzig wie man sich das vorstellt. Vor allem weil sehr viele Filme noch nicht in dem technischen Zustand sind, in dem sie der Kinozuschauer später sieht. Bei uns gibt es teils noch keine Farb- und Tonkorrektur, es ist noch nicht immer der endgültige Schnitt und es gibt manchmal keine Untertitelung, sondern die Dialoge werden eingesprochen. Es ist heftig, so viele Filme zu sehen. Ich habe dann auch manchmal Probleme damit, dass ich Film mit Realität verwechsele. Das merke ich dann daran, dass ich leichte emotionale Schwankungen habe - wenn man zu viele Filme über Kindersoldaten und niedergeschlagene Aufstände guckt.“