Christian Petzold über den Sound des Ostens

Berlin (dpa) - Christian Petzolds aktuelles Drama „Barbara“ war bereits der dritte Film, den der Regisseur ins Berlinale-Rennen schickte. Im Februar gewann er dort den Silbernen Bären für die beste Regie.

„Barbara“ spielt in der DDR der 80er Jahre.

Nina Hoss verkörpert darin eine Ärztin, die nach einem abgelehnten Ausreiseantrag in ein Provinzkrankenhaus versetzt wurde und die Republikflucht plant. Als sie einem Kollegen begegnet, der sie näher kennenlernen will, zweifelt sie an ihrem Entschluss. Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa erzählt Petzold (51), wie er als West-Kind damals die Besuche bei der Ost-Verwandtschaft erlebte und warum für ihn die DDR einen ganz eigenen Klang hatte.

Wo haben Sie gedreht? Wo haben Sie dieses bestechende DDR-Ambiente, dieses DDR-Gefühl gefunden?

Petzold: „Als ich das Drehbuch fertig hatte, habe ich mit dem Szenenbildner Kade Gruber gesprochen, und wir haben darüber nachgedacht: Was ist die DDR? Da haben wir über Gerüche gesprochen, über Mauerwerk, die Textur der Gebäude. Ich habe mich auch an meine Aufenthalte in der DDR erinnert. Da gab es Sachen aus den 20er Jahren, die ein bisschen ausgebessert worden waren, Kriegslücken, Neubauversuche mit stalinistischem Plattenbau - so etwas haben wir gesucht. Dann haben wir Kirchmöser in Brandenburg gefunden. Das ist eine alte Arbeitersiedlung aus den 20er Jahren, eine Gleisbauer- und Stahlgegend. Das ist dort fast unberührt und steht unter Denkmalschutz. In dieser zerfallenden Siedlung ist eine Idee von der Arbeiterklasse verewigt. Dort steht auch das Krankenhaus, das seit sieben Jahren leer stand. Da brauchten wir nicht mehr viel machen.“

Ihre Eltern sind 1959 von Ost- nach Westdeutschland gegangen, Sie sind in der Nähe von Wuppertal aufgewachsen - wie haben Sie die DDR damals bei ihren Besuchen bei der Ost-Verwandtschaft empfunden?

Petzold: „Ich bin totaler Westler, aber meine Eltern sind Flüchtlinge, und ich bin in einem Flüchtlingslager aufgewachsen. Es gab damals unglaublich viele Flüchtlinge aus dem Osten und nicht genügend Wohnungen, deshalb entstanden diese Containersiedlungen - und dann irgendwann mal Bausparvertrag und Reihenhaus. Aber meine Eltern haben das Gefühl gehabt, da nicht richtig zu Hause zu sein. Das Heimweh meiner Eltern war stark, deshalb fuhren wir so oft es ging nach Thüringen und Sachsen - alle 40 Cousins und meine Oma waren dort. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt und mich immer gefragt, warum wir dort nicht leben.“

Wie ist die Geschichte von „Barbara“ entstanden?

Petzold: „Vor zwei, drei Jahren habe ich angefangen, das Drehbuch zu schreiben. Dann habe ich einen Arzt kennengelernt, der in der DDR studiert hatte und noch heute im Osten seine Praxis hat. Der erzählte, dass Männer, die in der DDR einen Ausreiseantrag gestellt haben erstmal in den Knast kamen - zum Demütigen. Und dann - weil es einen unglaublichen Ärztemangel gab - kamen die Männer als Militärärzte in die Kasernen. Ärztinnen mit Ausreisewunsch wurden in die entsetzlichsten Provinzkrankenhäuser versetzt. Ich mag es gerne, wenn Geschichten an Arbeitsplätzen spielen. Wenn die Menschen, die sich ineinander verlieben, auch etwas miteinander zu tun haben.“

Was ist Barbara für ein Mensch?

Petzold: „Ich glaube, sie ist etwas dünkelhaft. Sie kommt aus der bildungsbürgerlichen Oberschicht, ihre Eltern hatten vielleicht sogar ein Häuschen am See. Sie ist eine sehr gute Ärztin. Und sie sieht, dass die Apparatschiks dafür sorgen, das minderbegabte Ärzte in gute Positionen kommen, weil sie gute Beziehungen haben. So fängt eine Verbitterung an. Dann lernt sie irgendwann einen Mann aus Westdeutschland kennen, der ist leicht, charmant und nicht so trampelig wie all die Apparatschiks um sie herum. Das macht ihr Spaß und sie sagt sich, ich haue ab aus diesem Land. Sie stellt einen Ausreiseantrag, kommt in den Knast, und als sie da wieder herauskommt, hat sie eine ungeheure Arroganz gegenüber der DDR.“

Wie wichtig ist Stille in Ihrem Film?

Petzold: „Sie ist sehr wichtig. Ich habe keine Filmmusik. Der Osten hatte auch einen eigenen Klang. Wir haben uns so daran gewöhnt an das Rauschen der Städte mit diesem unfassbaren Verkehr. Die Städte an die ich mich erinnere wie Rudolstadt, Meißen, Zwickau, Erfurt, Karl-Marx-Stadt - da waren eine Straßenbahn oder ein Auto ein Ereignis. Ich schlief dort auch viel schlechter, weil die Geräusche nicht gleichmäßig waren wie das Meer. Ich habe mich auch daran erinnert, dass man in der DDR die Natur viel besser hören konnte, dass es überhaupt viel mehr Natur gab, weil jeder selbst etwas anbaute, jeder hatte ein Gärtchen und dort wurden keine Zierpflanzen angebaut.“

Viele Filme über die DDR erklären wahnsinnig viel, malen Schwarz-Weiß oder machen sich lustig - Ihr Film funktioniert ganz anders, über weite Strecken über Stimmungen. Arbeiten die Deutschen Ihrer Ansicht nach zu wenig an der emotionalen Aufarbeitung der DDR-Geschichte?

Petzold: „Vielleicht kann der Film die Botschaft vermitteln: Lasst uns nicht Aufarbeiten, lasst uns Erzählen. Dass man die DDR nicht als eine Aufgabe betrachtet, die es zu erledigen gilt.“