Der Berlinale-Effekt - „Es ist die Hölle los“

Berlin (dpa) - Woran erkennt man den Berlinale-Profi? Er sitzt um Punkt 10.00 Uhr morgens am Rechner und bricht in Wutanfälle aus, wenn der Kartenkauf im Internet nicht klappt. Oder er steht am Schalter in den Arkaden am Potsdamer Platz in der Schlange, mit einem ausgetüftelten Stundenplan.

Der Profi hat sich zehn Tage Urlaub genommen. Nachts träumt er von dem Festival-Trailer mit Bärenfeuerwerk, der die Filme auf der Leinwand einläutet. Draußen ist es dieses Jahr sibirisch kalt, da bietet es sich an, zwischen den Jackenbergen im Kino zu überwintern. Der Berlinale-Marathon kann beginnen.

Ob Angelina Jolie, Bollywood-Blockbuster oder Teeniestar Robert Pattinson: Der Blitzlicht-Faktor ist bei der 62. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele, die am Donnerstag beginnen, beträchtlich. Aber auch Freunde des gepflegten Nischenkinos dürften bei 400 Werken aus aller Welt auf ihre Kosten kommen. Wo kann man schon Filme aus Vietnam oder Burkina Faso sehen? Eine Doku über 14-jährige Mütter oder eine restaurierte Fassung von Sergej Eisensteins „Oktober“ aus dem Jahre 1928 mit Orchestermusik?

Auch wenn es viele Festivalmuffel gibt, die Berlinale stürzt die Stadt alljährlich in einen cineastischen Ausnahmezustand. Mehr als 20 Kinos zeigen Berlinale-Filme, etwa 300 000 Tickets werden verkauft. Karten bekommt man in der Regel immer. Nur nicht zwingend für den Film mit Meryl Streep auf dem roten Teppich.

Berlin wird ohnehin gerade von Touristen überrannt, worüber der selbst zugezogene Hauptstädter gerne lästert. Zu den Filmfestspielen schwillt der Besucherstrom noch einmal an. „Wir rechnen mit 60 000 Berlinale-Touristen“, sagt Christian Tänzler vom Tourismusverband Visit Berlin. „Die Stadt bekommt ein schönes internationales Flair.“

Butler Ricardo steht im Hotel Adlon parat. Aber welcher VIP in der Präsidentensuite mit Blick aufs Brandenburger Tür absteigen wird, verrät das Hotel nicht. Filmleute melden sich oft erst kurzfristig an. „Man muss da eine hohe Flexibilität mitbringen“, sagt eine Sprecherin. Die Fans sind zurückhaltend und warten meist brav vorm Hotel. „Der Kreischfaktor ist nicht mehr ganz so hoch.“

Restaurants und Luxushotels pflegen eine gewisse Diskretion. Aber wo Männer mit Knopf im Ohr stehen oder dunkle Limousinen parken, könnte sich das Warten auf Autogramme lohnen, vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz sowieso. Weniger erfolgsversprechend ist es, vor den Türen Gäste nach ihren Bändchen zu fragen. Ohne Einladung gilt bei den Partys meist: Normalsterbliche müssen leider draußenbleiben.

Neben „Borchardt“, „Grill Royal“ und dem „Soho House“-Club gibt es einen neuen Neben-Schauplatz beim Festival. Das „Pret a Diner“, ein „Pop-up“-Restaurant in einer alten Münzprägeanstalt, verschwindet nach wenigen Wochen wieder. Im vergangenen Jahr waren Sean Penn und Bob Geldof da, wie das Restaurant notiert. Auch dieses Jahr will es „der Hotspot zur Berlinale“ sein. Sicher nicht die einzige Adresse mit diesem Anspruch.

Beim Friseur Shan Rahimkhan am vornehmen Gendarmenmarkt sind die Termine zur Berlinale doppelt gebucht. Die Stimmung sei energiegeladen und ausgelassen, heißt es im Salon. „Es ist die Hölle los“, sagt der Chef. Wo sich die Stars blicken lassen, kann sich eine eigenwillige Dynamik entwickeln. Madonna feierte mal im „Kaffee Burger“ in der zugigen Torstraße. Letztes Jahr machte das Gerücht die Runde, sie komme zu einer Premierenfeier in einer alten Sparkasse. Die Fotografen warteten vergeblich.