Ein Liebesfilm gewinnt die Goldene Palme

Cannes (dpa) - Es ist mutig, was Regisseur Abdellatif Kechiche und seine beiden Hauptdarstellerinnen geleistet haben. In dem Film „La vie d'Adèle“ erzählen sie in knapp drei Stunden von der lesbischen Liebe zweier junger Frauen, ohne Scheu vor sehr intensiven und ungewöhnlich langen Sexszenen.

Doch am Ende wurde ihr Wagnis belohnt: Bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes gewann „La vie d'Adèle“ die begehrte Goldene Palme - und schrieb Festivalgeschichte. Denn zum ersten Mal ging der Hauptpreis nicht nur an den Regisseur, sondern auch an die Hauptdarstellerinnen. Außerdem wurde damit in Cannes erstmals ein Film ausgezeichnet, der offen das Thema Homosexualität behandelt.

Dem in Tunesien geborenen Kechiche und seinen beiden Darstellerinnen gelingt mit dem Werk ein bemerkenswerter Spagat. Denn auch wenn sie von der lesbischen Liebe zwischen der jungen Adèle und der etwas älteren Emma berichten, so ist „La vie d'Adèle“ vielmehr die universelle Geschichte einer ersten großen Liebe, die Kechiche mit enormer Nähe und Unmittelbarkeit zeichnet. Dazu passen dann auch die leidenschaftlichen Sexszenen, die trotz ihrer expliziten Darstellung nicht voyeuristisch wirken, sondern Teil dieses Porträts werden.

„La vie d'Adèle“ zeigt, wie sich die beiden vorsichtig annähern, sich zum ersten Mal küssen, die Ekstase des leidenschaftlichen Sex entdecken, zusammenziehen - und sich dann im Laufe der Jahre voneinander entfernen. Das ist zärtlich, erotisch und tieftraurig und begeistert auch wegen der Natürlichkeit der beiden Schauspielerinnen Adèle Exarchopoulos (19) und Léa Seydoux (27).

Vor dem Hintergrund der andauernden Proteste in Frankreich gegen die Homo-Ehe könnte die Entscheidung der Cannes-Jury politisch wirken. Jury-Präsident Steven Spielberg betonte nach der Preisverleihung am Sonntagabend jedoch, dass sie das nicht gewesen sei. „Für mich ist der Film eine Liebesgeschichte voller Leidenschaft.“ Die Jury sei beeindruckt gewesen von der schauspielerischen Leistung und habe den Mut erkannt, der zu einem solchen Film gehöre.

Dass in Cannes am Ende zwei Frauen triumphieren würden, war lange Zeit nicht abzusehen gewesen. Denn in den Wettbewerb hatte es nur eine Regisseurin geschafft und auch in den Filmen dominierten dann die starken Männerrollen. Michael Douglas spielte den US-Entertainer Liberace, Matt Damon dessen jüngeren Geliebten. Oscar Isaac überzeugte in „Inside Llewyn Davis“ als verlorener Folkmusik-Sänger der 1960er Jahre und der Däne Mads Mikkelsen in der Verfilmung der Kleist-Novelle „Michael Kohlhaas“. Den Preis des besten Darstellers gewann dann aber der 76-jährige Bruce Dern. Der spielt in dem US-Roadmovie „Nebraska“ von Alexander Payne einen verwirrten Vater, der einen vermeintlichen Millionengewinn persönlich abholen will.

Die Konkurrenz um die Preise war bei der diesjährigen Festivalausgabe aber nicht nur bei den Hauptdarstellern groß. Es waren vor allem die Werke von Regiegrößen wie Roman Polanski, Asghar Farhadi, Steven Soderbergh, den Brüdern Ethan und Joel Coen und François Ozon, die starke Akzente setzten; doch es gab auch einige jüngere und unbekanntere Talente wie den Mexikaner Amat Escalante. Die Coens gewannen für „Inside Llewyn Davis“ schließlich den Großen Preis der Jury, und Escalante erhielt den Regiepreis für seine Drogenmilieustudie „Heli“, eine deutsche Koproduktion.

Dass es im Wettbewerb kaum Tiefpunkte gab, bewies einmal mehr, dass Cannes das wichtigste Festival der Welt ist. Denn auch wenn mehrere Juwelendiebstähle während der Festspiele für Schlagzeilen sorgten, waren die eigentlichen spannenden Höhepunkte in den Kinosälen und auf dem roten Teppich zu finden.