Favoriten in Cannes: Wird es Maren Ades großer Triumph?
Cannes (dpa) - Möglicherweise gelingt Maren Ade an diesem Sonntag eine kleine Filmsensation. Schließlich gilt die deutsche Regisseurin mit ihrer Tragikomödie „Toni Erdmann“ beim Filmfest Cannes als große Favoritin auf die Goldene Palme.
Sollte sie die tatsächlich gewinnen, wäre das die erste Goldene Palme für Deutschland seit 32 Jahren - und die erst zweite für eine weibliche Filmemacherin in der Geschichte des Festivals. Die Spannung ist also groß vor der Preisverleihung.
Tatsächlich ist „Toni Erdmann“ ein so humorvolles, trauriges und kluges Werk, wie man es nur selten im Kino sieht. Ein Film, der viel über die Beziehungen von Eltern und ihren Kindern erzählt, von unserem Weg im Leben und den Dingen, die wirklich wichtig sind. Im Mittelpunkt stehen ein Vater und seine Tochter, die sich im Laufe der Jahre entfremdet haben. Erst als er sie bei einem Projekt in Rumänien besucht und die Situation eskaliert, bekommen die beiden die Chance auf einen Neuanfang.
Nicht immer triumphieren bei Filmfestivals am Ende allerdings die offensichtlichen Favoriten. Auch der Jurypräsident George Miller hat vorab angekündigt, dass er erwartbare Preis-Entscheidungen langweilig findet. Miller selbst wurde mit Actionfilmen wie „Mad Max“ berühmt. Ob ihm also der deutsche Beitrag gefällt? Immerhin gäbe es auch noch andere starke Kandidaten auf einen Hauptpreis.
Dazu zählen zwei gesellschaftskritische Werke aus Rumänien: Cristi Puiu erzählt in „Sieranevada“ von einer Familie, die bei der Trauerfeier für den Vater zusammenkommt. Dabei entwirft der Regisseur gleichzeitig ein komplexes Bild des Landes, das noch immer die Folgen des Kommunismus spürt.
Christian Mungiu hingegen, der 2007 bereits für sein Abtreibungsdrama „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ die Goldene Palme gewann, zeichnet in „Bacalaureat“ das Porträt einer korrupten Gesellschaft. Als seine sonst sehr erfolgreiche Tochter kurz vor den Abschlussprüfungen überfallen wird, setzt der Vater alles daran, ihre Noten manipulieren zu lassen. So will er sichergehen, dass sie ihr Stipendium für eine britische Uni bekommt - ein vielschichtiges Drama über Moral und Verantwortung.
Weit oben in der Kritikergunst liegen aber auch der brasilianische Beitrag „Aquarius“ über eine ältere Frau, die sich dem Verkauf ihrer Wohnung an einen Immobilienhai widersetzt, und „Paterson“ von Independentfilm-Ikone Jim Jarmusch. In dem poetischen Werk gibt der „Star Wars“-Bösewicht Adam Driver einen Busfahrer und Dichter, der durch sein Leben treibt: erzählt wie ein langsamer Gedankenstrom voller hübscher Anekdoten und Beobachtungen eines ganz normalen Alltags.
Während Werke wie Andrea Arnolds „American Honey“ dank ihrer visuellen Kraft wohl eher Chancen auf Nebenpreise haben, kommt einem bei den Schauspiel-Anwärtern erneut „Toni Erdmann“ in den Sinn. Immerhin hätten sowohl Sandra Hüller als auch Peter Simonischek jeweils den Darstellerpreis verdient. Ähnliches gilt für die in Äthiopien geborene Ruth Negga, die mit ihrem intensiven Spiel im Rassismusdrama „Loving“ des US-Amerikaners Jeff Nichols in Erinnerung bleibt.
Bei den Männern steht der Hauptdarsteller aus Ken Loachs Sozialdrama „I, Daniel Blake“ weit oben: Dave John, der einen einfachen Mann im Kampf gegen die Willkür der Behörden verkörpert. Einer seiner größten Konkurrenten scheint dabei Adam Driver mit seinem stillen Spiel aus „Paterson“ zu sein.
Enttäuschten einige Filme wie etwa Sean Penns Liebesdrama „The Last Face“ mit Javier Bardem und Charlize Theron, feiern an diesem Samstag noch zwei weitere Filme ihre Premieren: „Elle“ mit Isabelle Huppert und „Forushande“ des Iraners Asghar Farhadi (Oscar für „Nader und Simin - eine Trennung“). Vielleicht gelingt einem von ihnen die Überraschung - es wäre nicht das erste Mal, dass der letzte Film des Wettbewerbs den ersten Preis gewinnt.