„Feuchtgebiete“: Skandalfilm des Jahres?

München (dpa) - Es war das Skandalbuch des Jahres 2008: Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ schlug wie der Blitz ein in die deutschen Feuilletons und entfachte eine hitzige Debatte: Ist das feministische Literatur oder nur Provokation mit Pornografie?

München (dpa) - Es war das Skandalbuch des Jahres 2008: Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ schlug wie der Blitz ein in die deutschen Feuilletons und entfachte eine hitzige Debatte: Ist das feministische Literatur oder nur Provokation mit Pornografie?

Millionenfach wurde das Buch in Deutschland verkauft; wochen-, monatelang hielt es sich an der Spitze der Bestsellerlisten. Ein Theaterstück gibt es bereits - und jetzt wird aus dem Skandalbuch auch noch ein Film. Ein Skandalfilm? An diesem Sonntag feiert er Weltpremiere auf dem Internationalen Filmfestival im schweizerischen Locarno; am 22. August kommt er in die Kinos. „So eklig ist der Feuchtgebiete-Film“ titelten schon Online-Portale nicht nur von Boulevard-Zeitungen.

Die Autorin selbst hielt ihren Roman über die 18-jährige Helene Memel, die gerne Sex hat, mit Gemüse masturbiert und wegen einer in aller Deutlichkeit beschriebenen Verletzung nach einer Anal-Rasur im Krankenhaus liegt, eigentlich für unverfilmbar. „Da sind ja schon auf jeder Seite Hardcore-Sachen. Das wäre schon sehr splatter-pornomäßig und würde das Publikum wahrscheinlich überfordern“, sagte sie einst.

Inzwischen hat Roche es sich aber offensichtlich anders überlegt - und die Filmrechte an ihrem als Monolog geschriebenen Erfolgsbuch abgetreten. Und so hatte Regisseur David Wnendt, der für seinen Film „Kriegerin“ über die Neonazi-Szene zahlreiche Preise abräumte, die Gelegenheit, seine Interpretation der Geschichte auf die Leinwand zu bringen.

Diese Gelegenheit kostet er genüsslich aus. Kaum eine der Szenen um Sex, Tampons und Hämorrhoiden wird ausgespart. Wnendt zeigt die wunderschöne Hauptdarstellerin Carla Juri immer wieder auf der Toilette, nackt, blutverschmiert, sich in der Wanne selbst befriedigend oder mit diversen Körperausscheidungen spielend. Die Grenze dessen, was dem Zuschauer und seiner Ekelgrenze im Kino sonst zugemutet wird, überschreitet er - der Film ist erst ab 16 Jahren freigegeben.

„Feuchtgebiete“ ist streckenweise obszön, klar. Doch wie sagte Autorin Roche selbst: „Sex ist nun mal das Niedrigste, Ekelhafteste, Tierischste und Flutschigste, was es überhaupt gibt.“ In einer Gesellschaft, die von manipulierten Körperbildern der Webung beherrscht werde, sei es nötig, offen über Sex und Nacktheit zu reden, sagte Roche nach dem Erscheinen ihres Buches. Dafür wurde die Autorin und Moderatorin, die dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff schon einmal Sex anbot, sollte er ein Gesetz für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken nicht unterschreiben, von den einen als Feministin neuer Generation gefeiert, von anderen beschimpft oder verspottet.

Wahrscheinlich dürfte der Film die Debatte von vor fünf Jahren um weibliche Sexualität und das Frauenbild in Medien und Gesellschaft noch einmal auflodern lassen. Ganz folgerichtig beginnt „Feuchtgebiete“ im Kino auch mit folgendem Zitat eines Leserkommentars, der von „Bild.de“ stammen soll: „Dieses Buch sollte weder gelesen noch verfilmt werden. Das Leben hat doch so viel mehr zu bieten als solch ekelhafte Perversitäten. Wir brauchen Gott!“.

Die durchaus feministischen Fragen nach weiblicher Sexualität und Selbstbestimmung, die das Buch einst stellte, sind auch heute noch nicht beantwortet. Wnendt aber legt seinen Schwerpunkt weniger auf eine gesellschaftspolitische Debatte als auf das persönliche Schicksal der 18-jährigen Helene, ein Scheidungskind, das sich vor allem nach Geborgenheit und Halt sehnt - und sich dafür auch selbst schreckliche Dinge antut. Sein Film ist tabulos, offen - aber gleichzeitig einfühlsam und auch sehr humorvoll geworden. Das liegt auch an einer beeindruckenden Carla Juri, der wirklich einiges abverlangt wird, und den großartigen Nebendarstellern Meret Becker, Axel Milberg und Edgar Selge.

Auch der Nachfolge-Roman von „Feuchtgebiete“, Roches „Schoßgebete“ soll ins Kino kommen - und zwar schon Anfang 2014. „Sommermärchen“-Regisseur Sönke Wortmann - im Vergleich zu Wnendt ein berühmter Routinier - verfilmt die Geschichte einer Frau zwischen Familie, Sex und Neurosen. Eine Komödie soll es werden, mit dabei sind die Schauspieler Juliane Köhler und Jürgen Vogel.

Und auch an literarischem Nachschub mangelt es nicht. Nach Angaben des Piper-Verlages in München arbeitet Roche an einem neuen Buch, das im kommenden Jahr auf den Markt kommen soll - „wenn alles gut geht“, wie eine Sprecherin sagte.