„Flight“: Absturz in ein neues Leben
Denzel Washington in Robert Zemeckis‘ „Flight“: Kann ein verantwortungsloser Mensch ein Held sein?
Düsseldorf. Es gibt diese Momente, da wünscht man sich, man hätte von dem Film, der gerade anfängt, nicht die geringste Ahnung. Dann würde man sich während der ersten Szene von „Flight“ fragen, wer dieser Typ ist, der mit geröteten Augen in einem Hotelzimmer aufwacht — neben ihm eine Frau, die sich fahrig aus den Laken schält.
Man würde staunen, dass sich die beiden nach der durchzechten Nacht noch eine Linie Koks genehmigen. Und man würde sich wünschen, bitte, lass diese Alkoholleichen keinen verantwortungsvollen Job ausüben. Doch sie ist Stewardess und er Pilot, beide auf dem Sprung zum nächsten Inlandsflug.
Da man vor dem Lösen einer Kinokarte aber meist eine grobe Ahnung davon hat, was einen erwartet, und die grobe Ahnung bei „Flight“ darin besteht, dass es ein Drama über einen Piloten mit Alkoholproblemen ist, bleibt dieser Aha-Effekt leider aus. Trotzdem hallt die Szene nach, mit jeder aufgekratzten Aufmunterungsparole von Kapitän William Whitaker (Denzel Washington) an sein Team, die kaschieren soll, wie voll er eigentlich ist.
Mit jedem drogengesteuerten Lächeln, das seine Passagiere in Sicherheit wiegen soll. Von Beginn an soll klar sein: „Flight“ ist kein Heldenepos — auch wenn das, was Whitaker zwei Stunden nach Abflug vollführt, einer Heldentat würdig ist.
Technische Probleme führen zu einem Kontrollverlust der Maschine, das Flugzeug sinkt steil nach unten. Mit einem waghalsigen Manöver schafft Whitaker eine Notlandung auf einem Feld. Nur ihm ist es zu verdanken, dass 96 der 102 Insassen überleben.
Wie Regisseur Robert Zemeckis („Forrest Gump“, „Cast Away — Verschollen“) diesen Crash inszeniert, wie man sich als Zuschauer an seine Sessellehnen klammert, weil man Druckverlust und Panik physisch mitempfindet, ist Actionkino in Reinform.
Zwölf Jahre lang hat Zemeckis keinen Realfilm mehr gedreht. Hatte sich darin verrannt, Schauspieler mit computergenerierten Masken zu verfremden und das Ergebnis, das sogenannte „Motion Capturing“, als Zukunft Hollywoods zu verkaufen. Bis er sich nach drei relativen Flops („Polarexpress“, „Beowolf“, „Eine Weihnachtsgeschichte“) auf das besann, was er am besten kann: Menschen in Extremsituationen schildern.
Whitaker kann bereits nach wenigen Tagen das Krankenhaus verlassen, die Medien feiern ihn als Helden. Doch die Ermittlungsbehörden finden heraus, dass er betrunken war und dies kein Einzelfall ist. Fahrlässige Tötung steht im Raum, Lebenslänglich wäre möglich.
Für Whitaker beginnt das Spiel eines Süchtigen: das Wechselbad aus Besserungswillen, Verdrängung, Rückfall, letztlich Lug und Trug, um sein kaputtes Leben irgendwie am Laufen zu halten. Washington verkörpert Whitaker so authentisch, weil sein Spiel so unaufdringlich ist. Kein Chargieren, kein Pathos — einfach nur ein glaubwürdiger Abhängiger.
Mit dieser Leistung, die ihm eine Oscarnominierung eingebracht hat, kann der Film als Ganzes nicht vollständig Schritt halten. Zemeckis ist fantastisch, wenn es um Einzelszenen wie den Flugzeugabsturz oder Whitakers Ringen mit sich und seiner Sucht geht. Allerdings will manches nicht in den ernsthaften Grundton des Films passen: John Goodmans Auftritte als Drogendealer beispielsweise inszeniert Zemeckis als platten Rockstarslapstick — Zuhälterbrille, Hawaiihemd und Rolling Stones als Einmarschmusik inklusive. Vielleicht erhoffte er sich dadurch etwas spannungslösende Komik, es bleiben aber nur Fremdkörper.
Die eigentliche Frage, die der Film aufwirft, entschärfen sie glücklicherweise nicht: Whitakers Freunde, seine Familie und auch die Öffentlichkeit müssen sich klarwerden, ob ein Mann, der verantwortungslos mit dem Leben Abertausender Menschen spielt, ein Held sein kann. Whitaker selbst ist das egal. Er hat den endgültigen Absturz noch vor sich.