Preisverleihungen beim Filmfestival Locarno

Locarno (dpa) — Die Hoffnung auf den Goldenen Leoparden, den Hauptpreis des Internationale Filmfestivals Locarno, für den deutschen Wettbewerbsbeitrag „Feuchtgebiete“ hat sich nicht erfüllt.

Die Jury der 66. Ausgabe des Festivals entschied sich am Samstagabend für den in spanisch-französischer Gemeinschaftsproduktion realisierten Spielfilm „Historia de la meva mort“ („Die Geschichte meines Todes“). Eine der anderen wichtigen Auszeichnungen aber ging nach Deutschland: „Master of the Universe“ erhielt den Preis als bester Beitrag der Sektion „Woche der Kritik“.

Regisseur Marc Bauder erkundet in seiner Dokumentation das internationale Bankgewerbe. In vieldeutigen Bildern bringt er den Ex-Banker Rainer Voss durch kluge Fragen dazu, die Gedankenwelt global agierender Finanzwirtschaft zu erhellen. Der auch für Laien verständliche Film macht drastisch klar, dass die Welt heutzutage größtenteils nicht von den Mächtigen in der Politik, sondern von der Macht des Geldes beherrscht wird. Die Jury der renommierten Sektion „Woche der Kritik“, in der sechs Dokumentationen um den Preis konkurrierten, entsprach mit ihrem Votum vollkommen den Erwartungen des Publikums.

Die Jury des Internationalen Wettbewerbs entschied sich hingegen überwiegend gegen alle Erwartungen. Die Auszeichnung von „Historia de la meva mort“ („Die Geschichte meines Todes“) des katalanischen Regisseurs Albert Serra mit dem Goldenen Leoparden ist eindeutig eine Absage an ein massenwirksames, publikumsfreundliches Kino. Der diesjährige Goldene Leopard ist dagegen ein Plädoyer für ein Kino, das weniger Wert auf Inhalt und Verständlichkeit als auf ausgefallene Ästhetiken und hohen Kunstanspruch legt.

Serra, der sich selbst gern als „Enfant terrible“ des spanischen Kinos sieht, lässt in starren, stark konstruiert wirkenden Tableaus den alten Casanova Ende des 18. Jahrhunderts in die Welt Draculas reisen. Dabei werden unentwegt philosophische Gedanken, etwa von Casanovas Zeitgenosse Voltaire, zitiert. Das hat den Reiz ausgetüftelten Kunstgewerbes. Spannung bezieht daraus wohl nur ein Zuschauer, der es liebt, im Kino mit einer Flut von mehr oder weniger geistreichen Monologen durch verrätselte Bilder geführt zu werden.

Auch die weiteren wichtigen Ehrungen galten keinen publikumswirksamen Filmen. Der Spezialpreis der Jury ging an „E Agora? Lembra-me“ („Und was nun? Erinnere mich“). In diesem filmischen Essay porträtiert sich der aidskranke Portugiese Joaquim Pinto in verklausulierten Bild-Ton-Montagen selbst. Der Südkoreaner Hong Sangsoo, der für „U ri Sunhi“ („"Unsere" Sunhi“) als Bester Regisseur ausgezeichnet wurde, ergötzt sich in seinem spröden Dialogfilm an einer Flut von Gesprächen über das Woher und Wohin des Lebens.

Aus dem überzeugenden Angebot des Hauptwettbewerbs, in dem 20 Spiel- und Dokumentarfilme liefen, wählte die Jury immerhin zwei Preise für Leistungen aus, die viele Festivalbesucher fesselten. Als Beste Schauspielerin ehrte sie die US-Amerikanerin Brie Larson. Sie spielt in dem Jugendheimdrama „Short Term 12“ eine engagierte Erzieherin. Die Auszeichnung als Bester Darsteller ging an den Peruaner Fernando Bacilio für seine Interpretation eines Justizbeamten in dem Gesellschaftspanorama „El mudo“ („Der Stumme“), eine Gemeinschaftsproduktion von Peru, Frankreich und Mexiko.

Die Entscheidung der Hauptjury vor allem für Kunstgewerbe entsprach nicht dem Gesamteindruck des Festivals. Der wurde vom Geschick des neuen künstlerischen Direktors Carlo Chatrian geprägt, Kunst und Kommerz, Unterhaltung und Anspruch auszubalancieren. Das Festival überzeugte mit einem facettenreichen Angebot auf hohem Niveau.

Mit großem Jubel und sehr viel Beifall des Publikums auf der Piazza Grande wurde kurz vor dem Ende des Festivals Werner Herzog gefeiert. Der deutsche Star-Regisseur, weltbekannt durch Filme wie „Fitzcarraldo“ (1982), erhielt einen Goldenen Ehrenleoparden für sein Lebenswerk. Festivalchef Chatrian betonte während des Festivals mehrfach, dass die Auszeichnung Werner Herzogs auch eine Ehrung für das deutsche Kino und dessen Einfluss auf die Weltfilmkunst sei.

Herzstück auch des 66. Internationalen Filmfestivals Locarno war das Programm auf der von Prachtbauten umgebenen Piazza Grande der Kleinstadt am schweizerischen Ufer des Lago Maggiore. Hier sahen jeden Abend etwa 8000 Besucher überwiegend unterhaltsame Filme außerhalb der Konkurrenz um den Goldenen Leoparden. Dabei waren die vor allem mit deutschem Geld produzierten hintergründigen Komödien „Mr. Morgan's Last Love“ der deutschen Regisseurin Sandra Nettelbeck und „Vijay and I“ des Belgiers Sam Gabarski. Beide Filme, die in den nächsten Wochen in Deutschland in die Kinos kommen, wurden vom Publikum in Locarno mit viel Applaus bedacht.