Tatort-Kritik Dieser Tatort ist ein Lügenkrimi
Der neue Tatort aus Stuttgart ist außergewöhnlich. Leider kann er die hohe Qualität nicht über die ganze Strecke halten.
Der Tatort aus Stuttgart entführt uns in die Welt der Reichen und Schönen. Aktienfonds und Tennis bestimmen das Leben der Bilderbuchfamilie Gregorowicz im Einfamilienhaus am Stuttgarter Stadtrand. Jakob Gregorowicz arbeitet bei Gebert Maschinenbau und verdient 100.000 Euro im Jahr und er sieht aus wie Karl Theodor zu Guttenberg und seine Frau sieht aus wie Stephanie zu Guttenberg und ihre Tochter sieht auch aus wie eine der Guttenberg-Töchter. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind vermutlich rein zufällig.
Trotz seines üppigen Gehalts hat sich Jakob verzockt, musste eine weitere Hypothek auf das Haus aufnehmen. Als sein Unternehmensberater, welcher für das finanzielle Debakel verantwortlich ist, „Opfer eines Gewaltverbrechens" wird, steht Jakob unter dringendem Tatverdacht.
Der neue Tatort aus Stuttgart ist außergewöhnlich. Zunächst sogar außergewöhnlich gut. Verantwortlich dafür ist ein erzählerischer Kniff: Im Gegensatz zu den meisten anderen Krimis wird die Geschichte nicht aus der Sicht der Ermittler erzählt, sondern aus dem Blickwinkel des Hauptverdächtigen. So stellen sich ganz andere Fragen. Hat er die Tat begangen? - Keine Ahnung. Hat er etwa zu verbergen? - Auf jeden Fall. Was das genau ist und ob es sich dafür lohnt einen Mord auf seine Kappe zu nehmen bleibt für den Zuschauer lange unklar. Klar ist nur: Der Mann lügt. Und er verstrickt sich immer tiefer in ein Lügennetz aus dem er nicht mehr unbeschadet herauskommen kann.
Besonders die erste Filmhälfte lebt von der Dynamik eben jenes Lügengeflechts. Der Zuschauer verfolgt jeden einzelnen Schritt des Verdächtigen: Er strickt sich falsche Alibis, reinigt eine geheime Zweitwohnung, widerruft alte Aussagen. Auf die eine Lüge folgt die nächste. Irgendetwas stimmt hier nicht, aber was? Wer ist der Gute? Wer ist der Böse? Jakob oder die Kommissare? Diese spielen zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Hin und wieder tauchen sie angemeldet oder unangemeldet auf, stellen unangenehme Fragen, provozieren neue Lügen und nehmen den Lügner schließlich unter dringendem Tatverdacht fest.
So weit so gut, ab hier lässt der Tatort leider nach. Es folgen viele einsame Gefängniseinstellungen: Schuhe ausziehen, Sträflingskleidung anziehen, Zelle beziehen, warten... Dann wird der Verdächtige vernommen. Auf das erste Vernehmen folgt das zweite. Auf das Zweite folgt das Dritte; und so weiter. Relativ schnell wird klar, dass es sich bei dem notorischen Lügner weniger um einen kaltblütigen Mörder, als um ein armes Schwein handelt. Trotzdem - oder gerade deshalb - ist der Mann (der lügt) in eine emotionale Zwickmühle geraten, aus der er alleine nicht mehr herauskommt.
Und genau wie Jakob Gregorowicz, gerät auch der Film in eine Zwickmühle. Die erste Hälfte ist noch sehr gut, im zweiten Teil entgleitet die Handlung ins konfuse und monotone. Als Krönung wird die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Der Schluss wird in zwei Texteinblendungen zusammengefasst. Eine „wahre Begebenheit“ wird angedeutet. Vermutlich auch nur eine Lüge.