100 Jahre Fund der Nofretete
Berlin (dpa) - Mehr als 3000 Jahre lag sie im ägyptischen Wüstensand, niemand wusste von ihrer Existenz. Doch als der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt vor genau hundert Jahren die Büste der Nofretete in Amarna entdeckte, ahnte er gleich, dass er auf Großes gestoßen war.
„Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen“, notiert er am 6. Dezember 1912 spät nachts in sein Grabungstagebuch. „12.40 Uhr zu Bett nach diesem Duseltage.“
Inzwischen lockt die Pharaonengattin Jahr für Jahr mehr als eine Million Besucher ins Neue Museum in Berlin. Mit ihrem ebenmäßigen Gesicht und dem entrückten, geheimnisvollen Lächeln gilt sie als wohl schönste Frauenskulptur der Welt. Sie hat Generationen von Forschern beschäftigt und wird weltweit als Schönheitsideal vermarktet. Neuere Studien belegen, dass sie im Reich ihres Gatten Echnaton um 1340 v.Chr. eine ungewöhnliche Machtstellung hatte.
„Nofretete war nicht nur die schöne Frau an Echnatons Seite. Sie war Prophetin, Geliebte und gottgleiche Mitherrscherin“, sagt der Heidelberger Autor und Kunsthistoriker Franz Maciejewski in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Nofretete. Die historische Gestalt hinter der Büste“ schildert er die First Lady der Amarna-Ära als eine politische Figur, der Ehrgeiz, Macht und Staatsräson keineswegs fremd waren.
„Die Schöne ist gekommen“, heißt ihr Name übersetzt. Als Tochter eines bürgerlichen, aber einflussreichen Hofbeamten geboren, heiratete sie mit etwa 16 Jahren den späteren König Amenophis IV., der unter dem Namen Echnaton erstmals eine Ein-Gott-Religion in Ägypten einführte. Nofretete gebar ihm als Hauptgemahlin sechs Töchter. Ob sie auch die Mutter des durch seine goldene Totenmaske berühmten Pharao Tutanchamun war, ist in der Wissenschaft umstritten.
Der Fund ihrer Büste vor hundert Jahren gilt bis heute als Sternstunde der Archäologie. Der Altertumsforscher Borchardt leitete damals im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft die Ausgrabungen in Amarna, den Ruinen der altägyptischen Königsstadt Achet-Aton etwa auf halber Strecke zwischen Luxor und Kairo. Echnaton („wirkend für Aton“) hatte seinen Herrschersitz hierher verlegt, um dem Sonnengott Aton zu huldigen.
Im Südteil der Stadt stießen die deutschen Forscher mit ihren rund 200 Helfern auf eine ungewöhnlich gut erhaltene Werkstatt, die offenbar dem Oberbildhauer Thutmosis gehörte, wie das Fragment einer elfenbeinernen Pferdescheuklappe im Hof verriet. Mehr als 50 Kunstwerke in den verschiedensten Herstellungsstadien fanden sich in dem verlassenen Haus - Modelle, Entwürfe, Gipsabrucke und fertige Skulpturen.
Der Kopf der Nofretete, 47 Zentimeter hoch, aus Kalkstein und mit mehreren Lagen Gips modelliert, zeichnete sich auch dadurch aus, dass er im Gegensatz zu dem meisten anderen Stücken reich bemalt war. „Farben wie eben aufgelegt“, notiert Borchardt an jenem Nikolaustag. „Nur die Ohren unten etwas von der rechten Seite der Perücke bestoßen.“
Insgesamt wurden in Amarna mehr als 10 000 Fundstücke geborgen. Wie damals noch üblich, teilten Deutsche und Ägypter den Fund je zur Hälfte, Nofretete kam nach Berlin. Und obwohl mit Datum vom 20. Januar 1913 ein exaktes Teilungsprotokoll vorliegt, wurde die schöne Königin schon bald zum Zankapfel zwischen beiden Seiten. Bereits bei der ersten öffentlichen Präsentation 1924 in Berlin forderte Kairo das wertvolle Stück zurück.
Später machte der inzwischen abgelöste Antikenminister Zahi Hawass, wegen seines Schlapphuts Indiana Jones genannt, die Rückführung der Büste zu seiner Lebensaufgabe. Mit einem Trommelfeuer von Vorwürfen verlangte er immer wieder publikumswirksam die Heimkehr der Königin. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verwahrte sich mit Hinweis auf die Rechtslage gegen alle Forderungen. „Die Nofretete ist und bleibt die beste Botschafterin Ägyptens in Berlin“, so das Credo von Stiftungspräsident Hermann Parzinger.
Seit 2009 residiert die schöne Dame im nördlichen Kuppelsaal des von David Chipperfield wunderbar sanierten Neuen Museums. Hinter schusssicherem Glas hebt sie stolz den bekrönten Kopf und schaut den Betrachter aus ihren beiden unterschiedlichen Augen verführerisch an. Mit ihren 3400 Jahren ist sie allerdings so empfindlich, dass sie noch nicht einmal fotografiert, geschweige denn bewegt oder angefasst werden darf.
Die große Ausstellung, die das Ägyptische Museum Berlin und die Papyrussammlung zu ihrem 100. Jubiläum veranstalten, wird deshalb buchstäblich um die Büste herumgebaut. Zur feierlichen Eröffnung am 6. Dezember hat sich - trotz der Umbruchsituation in Kairo - der neue Antikenminister Mohamed Ibrahim Ali angesagt. Selbst Nofretete dürfte die Ohren spitzen, was er zu ihrer Zukunft zu sagen hat.