Kunstausstellung Ein Experiment beginnt: Die documenta 14 in Athen

Athen (dpa) - Ein Meer aus Kamillenblüten umgibt die gewaltigen Säulen des Tempels des Olympischen Zeus. Das Verkehrschaos rundherum kann dieser Oase inmitten des Athener Stadtzentrums nichts anhaben.

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Absolute Ruhe strahlen auch die beiden Männer aus, die auf der Blumenwiese in scheinbar unbequemen Positionen ausharren; der eine steht auf dem linken Bein und hält den rechten Fuß fest, der andere reckt den Arm in Richtung Akropolis. Schließlich lösen sich die beiden Berliner Künstler Wolfgang Prinz und Michel Gholam, nur um die nächste Position einzunehmen und wieder innezuhalten.

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Das Duo Prinz Gholam gehört zu jenen mehr als 150 Künstlern, die in den kommenden Monaten bei der documenta 14 erst in Athen und dann auch in Kassel ihre Kunst zeigen. Bei ihrer zweistündigen Performance „My Sweet Country“ übertragen sie mit ihren Körpern Gesten und Posen aus der Kunstgeschichte. Wenn sie nach bedächtigen Bewegungen in einer neuen Position verharren - mal sinnend oder abwartend, dann wieder gemütlich, zärtlich verbunden oder auch sehnsüchtig - wirken sie vor der antiken Kulisse wie lebendige Skulpturen.

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Das Olympieion, der Tempel des Olympischen Zeus, war am Samstag außergewöhnlich gut besucht, denn am Vormittag wurde die documenta 14 offiziell eröffnet. Auch am Sonntag zog die Ausstellung zahlreiche Menschen an - unter anderem der Beginn der Performance „The Transit of Hermes“. Vier Reiter, darunter zwei Deutsche, werden auf ihren Pferden von Athen aus 3000 Kilometer weit über den Balkan bis in die documenta-Geburtsstadt Kassel reiten. In rund 100 Tagen sollen sie ankommen, hofft der für die Aktion verantwortliche schottische Konzept-Künstler Ross Birrell.

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Beim Abschied der modernen Abenteurer am Fuße der Akropolis sammelten sich am Sonntagmittag so viele Menschen, dass die Reiter ihre Tiere lieber am Zügel führten, anstatt die mit Marmor gepflasterte Straße hinunterzupreschen. Neben den unzähligen Touristen und Athenern sollen derzeit auch rund 6000 ausländische Kunstschaffende, Kritiker und Journalisten in der Stadt sein, schätzt die griechische Presse, die der documenta 14 insgesamt recht positiv gegenüber steht.

„Es reicht schon ein Besuch im Museum für Zeitgenössische Kunst, um zu begreifen, welche Dimension der Geist, die Spannweite, das Kaleidoskop der documenta haben“, stellte etwa die Athener Tageszeitung „Kathimerini“ beeindruckt fest. Das EMST, wie das Museum abgekürzt genannt wird, ist ein wunder Punkt griechischer Kulturpolitik: Es wurde gebaut, aber mangels Geld bisher nie bestückt und vollständig eröffnet. Nun ist es einer der mehr als 40 Ausstellungsorte im ganzen Stadtgebiet - und schon am Eröffnungstag bilden sich am Eingang lange Besucherschlangen.

Dass die Griechen sich im Vorfeld der documenta 14 nicht wirklich für die weltbekannte, alle fünf Jahre stattfindende Kunstschau interessierten, dürfte kaum verwundern. Zwischen Schuldenlast, Arbeitslosigkeit und steigender Armut gefangen, die Verhandlungen mit den Gläubigern, Neuwahlen oder einen möglichen Euro-Austritt stets vor Augen, gab es genügend andere Sorgen. Daran änderte auch die mysteriöse schwarze 14 nichts, mit der die Ausstellungsmacher in Athen warben - die wenigsten Athener dürften sich auf die Plakate einen Reim gemacht haben.

Jetzt aber geht es los, die Medien berichten, die vielen Performances und Aktionen werden sichtbar und lassen die Menschen innehalten - etwa auf dem zentralen Syntagma-Platz, wo junge Leute gemeinsam mit dem ghanaischen Künstler Ibrahim Mahama Jute-Säcke zusammennähen. Dass etwas geschieht in ihrer Stadt, wo doch sonst gerade für kulturelle Aktivitäten überhaupt kein Geld mehr vorhanden ist, freut viele Athener. Und auch mit den Botschaften können sie etwas anfangen - etwa mit dem Banner des Kölner Künstlers Hans Haacke, das am Museum für Zeitgenössische Kunst prangt und auf dem in zwölf Sprachen „Wir (alle) sind das Volk“ steht.

Eine documenta 14 in der Stadt zu haben, bedeutet jedoch auch Verantwortung. „Können wir dieser Herausforderung überhaupt gerecht werden?“, fragte am Samstag die Zeitung „Kathimerini“. „Nicht organisatorisch - das haben die Deutschen übernommen. Aber psychologisch?“ Jetzt sei es notwendig, sich von Stereotypen, imaginären Feinden und anderen Besessenheiten zu befreien - die documenta 14 biete genug Zeit dafür.

„Wenn wir uns das Gute, was sie mitbringt, nicht zu eigen machen, dann haben wir sie nur beherbergt.“ Das gelte es zu vermeiden: Bei der documenta 14 gehe es ausnahmsweise nicht um Tourismus, sondern darum, selbst einen neuen Schub zu erfahren, neuen Antrieb zu gewinnen. Den kann die griechische Seele gut brauchen - und das Team der documenta 14 wäre sicher mehr als glücklich, wenn die dreimonatige Kunstschau dazu beiträgt, die ab Juni dann auch in Kassel 100 Tage lang Kunst bietet.