Umfrage Ruhe nach dem Sturm - ein Jahr Kulturgutschutzgesetz

Berlin (dpa) - Die Kunstszene war in Aufruf: Von einem Anschlag auf den freien Kunsthandel war die Rede, sogar von Enteignung. Knapp ein Jahr nach Inkrafttreten des umstrittenen Gesetzes zum Schutz von Kulturgütern hat sich die Aufregung weitgehend gelegt.

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Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab, registrieren einige Bundesländer kaum Veränderungen. Andere melden zwar mehr Anträge auf Ausfuhrgenehmigung und einen höheren Verwaltungsaufwand. Statt Wut und Ärger gibt es aber inzwischen eher sachliche Kritik.

„Erste zahlenmäßige Erhebungen zeigen, dass der Verwaltungsaufwand deutlich geringer ist, als dies vorausgesagt wurde“, erklärt auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Das von ihr vorgelegte Gesetz soll national wertvolles Kulturgut vor einer Abwanderung ins Ausland bewahren. Zudem soll die Einfuhr von Kunst aus Kriegs- und Krisengebieten erschwert werden.

Anfang Juli 2016 nahm das Gesetz im Bundesrat die letzte Hürde, am 6. August traten die Neuregelungen in Kraft. Seither muss auch für die Ausfuhr eines Kunstwerks in ein EU-Land eine Genehmigung beantragt werden. Bisher galt das nur für Exporte in Nicht-EU-Länder.

Nach Angaben von Grütters gab es in den ersten acht Monaten der Geltungszeit bundesweit 688 Genehmigungen für eine Ausfuhr in den Binnenmarkt - der Kunsthandel hatte mit 10 000 Anträgen und mehr gerechnet. Nur in einem einzigen Fall wurde eine Eintragung in die Liste national wertvoller Kulturgüter beantragt - und das vom Eigentümer selbst.

Der Deutsche Museumsbund lobt vor allem die Möglichkeit, für den musealen Leihverkehr eine Pauschalgenehmigung auf fünf Jahre zu erhalten. „Das ist ein sehr hilfreiches Instrument, um den Leihverkehr effizient und zuverlässig abzuwickeln“, sagt Präsident Eckart Köhne.

Zu den Skeptikern gehört allerdings nach wie vor der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler. „Viele Kunsthändler beklagen, dass die Bereitschaft, Kunstwerke aus dem Ausland nach Deutschland einzuführen, massiv zurückgegangen ist“, sagt der Vorsitzende Kristian Jarmuschek. „Der Kreislauf ist also gestört und der Kunstmarktstandort Deutschland wird nachhaltig beschädigt.“

Und das berichten die für die Umsetzung des Gesetzes zuständigen Länder:

BADEN-WÜRTTEMBERG: Baden-Württembergs Landesregierung sieht sich durch die Praxis in ihrer Kritik bestätigt: „Das Gesetz bringt zu viel Beratungsbedarf und Bürokratie mit sich“, sagt Kunststaatssekretärin Petra Olschowski. Es gebe nach wie vor viele Fragen und viel Verunsicherung. „Das Gesetz ist an vielen Stellen überkompliziert und schwer verständlich.“ Seit Inkrafttreten der neuen Regelungen seien insgesamt - für EU- und Nicht-EU-Länder - mehr als 400 Ausfuhrgenehmigungen für fast 2000 Kulturgüter erteilt worden - fast doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Dem Ministerium sind fünf Fälle bekannt, in denen Leihgeber ihre Werke von staatlichen Museen zurückverlangten.

BAYERN: Bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen hatte der Maler Georg Baselitz ein Jahr vor Inkrafttreten des Gesetzes drei seiner Dauerleihgaben zurückgefordert und damit für Wirbel gesorgt. Ähnliches sei jedoch seitdem nicht mehr vorgekommen, melden die Pinakotheken. Nur eine für 2018 geplante Paul-Klee-Schau erhielt wegen der Neuregelung die Absage eines Leihgebers. Gerüchte hätten vor Inkrafttreten des Gesetzes die Stimmung aufgeheizt, sagte eine Sprecherin. Folgen gibt es aber doch. Händler, Kunstfreunde und Sammler lassen sich sehr viel häufiger beraten. Die Zahl der Anträge auf Ausfuhrgenehmigung von Kunstwerken stieg auf mehr als 830, in 369 Fällen ging es um den Export in EU-Länder. Bislang sei aber noch kein Antrag abgelehnt worden, teilte das Kultusministerium mit.

BERLIN: Die Bundeshauptstadt ist mit der Neuregelung weitgehend zufrieden. „Das neue Gesetz verursacht zwar einen größeren Verwaltungsaufwand, aber es gibt keine wesentlichen Probleme bei der Umsetzung“, sagt Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert. Berlin unterstütze besonders alle Maßnahmen, die der Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgütern dienten. Insgesamt hat das Land bisher 36 Ausfuhrgenehmigungen in den EU-Binnenmarkt erteilt. Daneben gab es fast 100 Pauschalgenehmigungen etwa für Museen oder wertvolle Musikinstrumente von Orchestermitglieder, die viel reisen.

BRANDENBURG: Der Museumsverband Brandenburg sieht das neue Gesetz als „riesige Aufwertung“ der Exponate und Arbeit der Museen. Diese Einstufung könne den Häusern vor allem bei Verhandlungen um Fördermittel helfen, hieß es. Auch das Museum Junge Kunst und das Museum Viadrina in Frankfurt (Oder) bewerten die neuen Regeln positiv. Sie erhöhten die Rechtssicherheit beim Leihverkehr. Das Land vergab laut Kulturministerium bisher 116 Ausfuhrgenehmigungen.

BREMEN: In Bremen ist die Zahl der Anträge auf Ausfuhrgenehmigung nach Angaben des Kulturverwaltung gestiegen - von sechs Anträgen im Jahr 2015 auf bisher 21. Die Verfahren seien zudem aufwendiger geworden. Die Museen registrieren nach wie vor Unmut bei privaten Sammlern. „Die große Verärgerung im Bereich des Kunsthandels und der Privatleihgeber über den hohen Verwaltungsaufwand durch das Kulturgutschutzgesetz ist nach wie vor vorhanden“, sagt Dorothee Hansen, stellvertretende Direktorin der Kunsthalle Bremen. „Im Rahmen von Leihanfragen wird man immer wieder damit konfrontiert.“ Die Skepsis ist Hansen zufolge keineswegs gewichen.

HAMBURG: Die Hamburger Kunsthalle und das Museum für Kunst und Gewerbe sind nach eigenen Angaben von dem neuen Gesetz so gut wie nicht betroffen. „Die Skepsis ist zunehmend gewichen“, sagt eine Sprecherin der Kunsthalle. Weder hätten Leihgeber ihre Werke zurückverlangt, noch habe es mehr Genehmigungen oder Absagen gegeben. Auch das Museum für Kunst und Gewerbe ist gelassen. „Von unseren Objekten sind keine als national wertvoll klassifiziert, und auch bei Ausleihen sind wir nicht damit in Berührung gekommen“, sagte eine Sprecherin.

HESSEN: Hessen hat nach Angaben des Kunstministeriums seit vergangenem Sommer 45 Genehmigungen für eine Ausfuhr von Kunstwerken in einen EU-Staat erteilt. Weder vor noch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes sei ein Antrag abgelehnt worden, hieß es. Ein Verfahren zur Eintragung eines Werkes als „national wertvolles Kulturgut“ habe es seither nicht gegeben. Allerdings sei der Beratungsbedarf deutlich gestiegen. „Insbesondere im Gespräch mit Museen und kulturgutbewahrenden Einrichtungen, aber auch mit dem Handel, gibt es noch Unklarheiten und Unsicherheiten.“ Durch die Beratungsgespräche scheine die Skepsis jedoch langsam zu weichen.

MECKLENBURG-VORPOMMERN: In Mecklenburg-Vorpommern sind den Behörden zufolge kaum Auswirkungen zu spüren. So habe es bisher erst eine Ausfuhrgenehmigung in den EU-Binnenmarkt gegeben, in einigen wenigen Fällen sei es um eine vorübergehende Ausfuhr gegangen, sagte ein Sprecher des Kulturministeriums. Genauere Aussagen über den Verwaltungsaufwand erwartet das Land erst, wenn entsprechende Auswertungen vorliegen.

NIEDERSACHSEN: Auch in Niedersachsen haben Sammler nach Angaben des Kulturministeriums keine Leihgaben aus den Museen zurückgezogen. „Die grundsätzliche Stoßrichtung des Gesetzes war und ist richtig“, sagt Landeskulturministerin Gabriele Heinen-Kljajić (Grüne), „jedoch bestätigen die bisherigen Erfahrungen Bedenken der Länder.“ Dazu gehöre besonders der gestiegene bürokratische Aufwand. Vor allem die Zahl der Anträge für die Ausfuhr ins außereuropäische Ausland ist laut Ministeriumssprecherin Margit Kautenburger deutlich gestiegen. Alle seien positiv beschieden worden. Auch ein Verfahren zur Eintragung in das niedersächsische Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes habe es nicht gegeben.

NORDRHEIN-WESTFALEN: In NRW ist die Zahl der Anträge auf Ausfuhrgenehmigung nach Angaben des Kulturministeriums „erheblich“ gestiegen. Grund sei, dass nun auch die Ausfuhren in EU-Länder genehmigt werden müssten. Auch der Beratungsbedarf habe „um ein Mehrfaches“ zugenommen. Auf Grundlage des neuen Gesetzes sei bisher ein Verfahren zur Eintragung in die Liste des national wertvollen Kulturguts eingeleitet worden. Museen befürchten, dass private Leihgeber keine Werke mehr für Ausstellungen zur Verfügung stellen. Die landeseigene Kunstsammlung NRW versucht zu beruhigen. Das Haus könne für Ausstellungen auf der Grundlage des neuen Gesetzes „alle Vorsorge treffen, dass ein Zugriff auf die geliehenen Werke ausgeschlossen ist“, sagt die kommissarische Direktorin Anette Kruszynski.

RHEINLAND-PFALZ: In Rheinland-Pfalz sind kaum Auswirkungen zu spüren. Die Zahl der Ausfuhrgenehmigungen sei nur wenig gestiegen, teilte das Ministerium mit. Auch ein Abzug von Leihgaben sei bisher nicht zu beklagen. In einem Fall wurde ein Kulturgut - nämlich der Bücherbestand einer Kirche - in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts aufgenommen. Der Beratungsbedarf halte sich bei Museen und Sammlern in Rheinland-Pfalz „nach wie vor in Grenzen“, hieß es.

SAARLAND: Das saarländische Kulturministerium sieht keine Veränderungen bei der Zahl der Anträge: 2017 habe es bisher sechs Ausfuhrgenehmigungen in den EU-Binnenmarkt und zwei in einen Drittstaat gegeben. „Die aktuelle Situation verläuft im üblichen Rahmen“, hieß es. Von einem erhöhten Beratungsaufwand könne nicht gesprochen werden, auch sei keine Skepsis von Sammlern und Leihgebern geäußert worden. „Wir erwarten auch künftig keine "Antragsschwemme"“, teilte das Ministerium mit.

SACHSEN: Bis auf Georg Baselitz, der Leihgaben aus Dresden und Chemnitz abholen ließ, hat in Sachsen kein Künstler Werke aus den großen Museen zurückgefordert. Auch eine Aufnahme in die Liste „national wertvollen Kulturguts“ gab es bisher nicht. „Unsere Sammlungsbestände sind per se unveräußerlich“, sagt ein Sprecher des Leipziger Bildermuseums. Bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden stiegen die Anträge für Ausfuhren in EU-Mitgliedsstaaten. „Bisher mussten wir keine Ausfuhrgenehmigung verweigern“, erklärte eine Sprecherin. Auch die Leipziger verzeichnen einen Anstieg, rechnen aber mit baldiger Normalisierung. „Wir sind dabei, die "offene Genehmigung" zu beantragen, die das Verfahren deutlich vereinfacht.“

SACHSEN-ANHALT: In Sachsen-Anhalt sind die Auswirkungen überschaubar. Bislang sei wegen der neuen Regeln noch kein Antrag auf eine Ausfuhrgenehmigung abgelehnt worden, sagte ein Sprecher des Kulturministeriums in Magdeburg. Es gebe nach wie vor großen Beratungsbedarf, was bei einer neuen Gesetzeslage aber normal sei. Einen Abzug von Werken durch Leihgeber habe es bisher genauso wenig gegeben wie die Eintragung eines Werkes als „national wertvolles Kulturgut“

SCHLESWIG-HOLSTEIN: In Schleswig-Holstein hat sich die Zahl der Anträge auf Ausfuhrgenehmigungen kaum verändert, wie ein Sprecher des Kulturministeriums sagte. Auch seien keine Leihgaben von Museen und Kunsteinrichtungen zurückgefordert worden. Zusätzlichen Beratungsbedarf gebe es insbesondere im Zusammenspiel mit dem Zoll, weniger mit den Museen. Das Gesetz hat im Land kaum Wellen geschlagen: Aufgrund öffentlicher Informationsveranstaltungen habe es kaum negative Reaktionen gegeben, sagte der Sprecher.

THÜRINGEN: In Thüringen haben sich die meisten öffentlichen Einrichtungen inzwischen mit den neuen Regeln arrangiert. „Uns sind keine größeren Probleme wie etwa der Rückzug von Leihgaben bekannt“, sagte eine Sprecherin des Museumsverbands Thüringen. Ähnliche Einschätzungen kommen von der Klassik Stiftung Weimar und der Stiftung Schloss Friedenstein. Zwischen August 2016 und April 2017 wurden insgesamt 29 Ausfuhrgenehmigungen erteilt, sagte die Sprecherin für Kultur und Medien der Thüringer Staatskanzlei, Maria-Theresia Meißner. Darunter waren 19 Genehmigungen zur vorübergehenden Ausfuhr und 10 sogenannte „offene“ Genehmigungen für Museen.