Schamane mit Fettecke: Vor 20 Jahren starb Beuys
Düsseldorf (dpa) - Für die einen war er ein „Schamane“, andere brachte er mit seinen Fettecken, Leichenbahren und toten Hasen auf die Barrikaden: Joseph Beuys polarisiert bis heute.
Doch unbestritten ist wohl, dass der Mann mit dem Filzhut und dem kantigen Gesicht die Nachkriegskunst in Deutschland gründlich revolutionierte. Vor 25 Jahren, am 23. Januar 1986, starb der weltberühmte Kunstprofessor, Mitbegründer der Grünen, Anthroposoph und Freund von Andy Warhol. Beuys wurde 64 Jahre alt.
Noch heute gibt es zahlreiche Spuren des Ausnahme-Künstlers (1921- 1986) in Düsseldorf, wo er lebte und lehrte. Und man kann in der Landeshauptstadt einstigen Weggefährten von Beuys begegnen. Wie etwa Johannes Stüttgen (65), der in den wilden Jahren von 1966 bis 1971 bei Beuys studierte, sein Meisterschüler und Freund wurde.
Beuys habe aus seinen Schülern das herausholen können, was ihnen selber nicht bewusst war. „Er hat sie auf ihre eigene Linie gebracht, nicht auf seine“, sagte Stüttgen der Nachrichtenagentur dpa. So sei zu erklären, dass berühmte Künstler wie Imi Knoebel, Jörg Immendorff, Blinky Palermo oder Katharina Sieverding, die allesamt Schüler von Beuys waren, sich in ganz unterschiedliche Richtungen entwickelten.
Kunst und Gesellschaft gehörten für Beuys zusammen. „Beuys war seiner Zeit voraus“, sagt Stüttgen. Schon in den 60er Jahre forderte er mehr direkte Demokratie. Für Beuys sei die Selbstbestimmung des Menschen oberstes Prinzip gewesen. Doch sogar die Grünen, bei denen er sich seit der Gründung der Öko-Partei engagierte, hätten ihn als „Spinner“ abgetan.
Jeden Tag war Beuys in der Kunstakademie, von morgens bis abends, ein strenger Lehrer, ebenso gefürchtet wie verehrt. Seinen umfassenden Freiheitsbegriff teilte allerdings der damalige NRW- Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) gar nicht. Er entließ Beuys 1972 fristlos als Akademieprofessor, als dieser begann, abgewiesene Bewerber in einer eigenen Klasse zu unterrichten. Für Beuys war jeder Mensch ein Künstler.
Energie, Willenskraft und vielseitige Interessen fanden bei Beuys ihren Niederschlag in einem höchst komplexen Werk, das bis heute Kunsthistoriker versuchen zu entschlüsseln. Beuys, Bordfunker im Zweiten Weltkrieg, abgeschossen über der Ukraine, Freund des Tierfilmers Heinz Sielmann, avancierte erst zum Kunststar, als er schon weit über 40 war.
Beuys war nicht nur ein Meister der Stoffe, sondern auch der Aktionen. Nach Ansicht der Künstlerischen Direktorin der Kunstsammlung NRW, Marion Ackermann, die eine große Retrospektive zu Beuys kuratiert hat, durchbricht das Werk „die Grenzen der künstlerischen Disziplinen, hat das Theater stark beeinflusst und definiert insgesamt eine Veränderung des herkömmlichen Werkbegriffs“.
Dabei hatte der strenge Kunstprofessor eine ganze Menge Humor. Ob der „mit Fett verlängerte Spazierstock“ oder „anschwebende plastische Ladung vor Isolationsgestell“ - die Titel der Werke sind so rätselhaft wie witzig. Dass man aber mit Fettecken auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erzielen konnte, empörte viele. „Dabei haben die Fettecken nie gestunken“, schmunzelt Stüttgen. „Ich kann das beurteilen, weil ich lange mit ihnen gelebt habe.“
25 Jahre nach seinem Tod boomt Beuys. Mehrere Ausstellungen bundesweit waren ihm in jüngster Zeit gewidmet, zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten wurden über ihn geschrieben. Für Stüttgen ist Beuys eine „Jahrhundertfigur“, die über die Kunst im herkömmlichen Sinne hinausgewachsen ist.
Und noch etwas mache Beuys aus: Der Geheimnischarakter seiner Werke. „Je tiefer ich eindringe, umso größer wird das Geheimnis.“ Hasen, Hirsche, Fabelwesen bevölkern das Werk des Künstlers. Mythen, physikalische und geistige Energieformen beschäftigten Beuys. Er verbrachte drei Tage mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie und erklärte einem toten Hasen, den er auf dem Arm trug, Bilder. „Man lernt am Werk von Beuys, dass nicht alles erklärbar ist“, sagt die Kunstsammlungschefin Ackermann.