Mega-Schauen Wenn Kunstschätze auf Reisen gehen
Wien (dpa) - Die Transport-Kiste ist aufwendige Handarbeit. Sie hat Stoßdämpfer, ist unempfindlich gegen Temperaturschwankungen, und selbst Feuer kann dem bis zu 10 000 Euro teuren Teil wenig anhaben.
„Bis zur Bergung aus einem brennenden Lastwagen wäre auf alle Fälle Zeit“, sagt Birgit Vikas. Die Chefin der Wiener Spezial-Spedition Kunsttrans muss es wissen. Seit Jahrzehnten spielt ihr Unternehmen eine wichtige Rolle bei großen Ausstellungen - beim aufwendigen Transport der millionenteuren Leihgaben ins gastgebende Museum.
Aktuell laufen die Vorbereitungen zum Transport der Bilder für die große Rubens-Schau im Kunsthistorischen Museum (KHM) in Wien, die am 17. Oktober beginnt und mit ihren 127 Exponaten anschließend im Frankfurter Städel gezeigt wird. Im Herbst 2018 folgt im KHM eine umfassende Bruegel-Schau. Welche Hindernisse müssen die Macher aus dem Weg räumen, damit unersetzliche Kunst reisen darf und solche Schauen überhaupt noch organisiert werden können?
Die PLANUNG: Drei Jahre Vorlauf für eine große Ausstellung bedeutender Künstler gilt als Mindestzeit. Aufgrund der enormen Kosten ist es wichtig, dass ein Gutteil der Bilder bereits Bestand des Museums ist. So besitzt das KHM 58 Rubens-Werke und zwölf Werke von Pieter Bruegel dem Älteren. Anschließend wird unter den beteiligten Kuratoren ein künstlerisches Konzept, eine bestimmte Fragestellung formuliert. „Dann wird ausgelotet, ob ein Verleih möglich ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen“, sagt KHM-Direktorin Sabine Haag. Beim Verleih gilt: Gegengeschäfte sind üblich nach dem Motto: Ich leihe dir den Alten Meister, dafür bekomme ich später ein wertvolles Stück von dir. Allerdings: Beim KHM haben alle fragilen Holztafeln, zu denen auch die Bruegels gehören, absolute Reisesperre.
Das KONZEPT: Im Fall von Peter Paul Rubens (1577-1640) soll seine Sicht auf eine Welt im Umbruch mit Verlust alter Ordnungen und Gewissheiten im Mittelpunkt stehen. „Es war eine Zeit ungeheurer Kenntnisvermehrung mit einer unvergleichbaren wissenschaftlichen Aufbruchstimmung“, sagt der Chef der Gemäldegalerie des KHM, Stefan Weppelmann. Das späte „Selbstbildnis“ von 1638 zeige einen von Zweifel, Gicht und Sorgen gezeichneten Mann, meint Weppelmann. Bei Pieter Bruegel dem Älteren (1525-1569) hatte eine wissenschaftliche Untersuchung seiner Gemälde viel Neues erbracht. Zu seinem 450. Todesjahr wird deshalb sein Werk in aktuellem Licht präsentiert.
Die STAATSHAFTUNG: Angesichts der immensen Werte und der entsprechenden Versicherungssummen haftet auch in Österreich der Staat. Die Staatshaftung für alle sieben Bundesmuseen beläuft sich aktuell auf 1,7 Milliarden Euro. „Das ist eine sehr gute Hilfe, reicht aber nicht“, sagt Haag. Da sich die Bundesmuseen die Summe teilen müssten, stünden für die Bruegel-Schau wohl rund 500 bis 600 Millionen Euro als Haftung zur Verfügung. „Damit werden wir nicht sehr weit kommen“, sagt Haag angesichts des Werts der Bruegel-Bilder. Sollte die Versicherungssumme diesen Betrag überschreiten, muss das KHM den notwendigen Versicherungsbeitrag aus dem eigenen Etat finanzieren.
Die VERSICHERUNG: „Werte von 1,5 bis zwei Milliarden Euro in einer Schau sind nicht unüblich“, sagt die Expertin der Uniqua-Versicherung, Petra Eibel. Versichert sind unter anderem der Transport, Vandalismus und technische Probleme wie der Ausfall der Klimaanlage. „Die Nagel-zu-Nagel-Versicherung ist das Sorglos-Paket“, sagt Eibel. Im Markt werden für 50 Millionen Euro Versicherungssumme etwa 25 000 bis 50 000 Euro Provision fällig. Davon muss die Versicherung auch ihren eigenen Rückversicherer finanzieren. Und wird tatsächlich wie 2005 im Kunsthaus Bregenz ein Bild (Roy Lichtensteins „Nude in Mirror“) von einer geistig verwirrten Frau mit dem Messer zerschnitten, muss es mit Millionenaufwand und einer fast mikrochirurgischen Fadenverklebung wieder restauriert werden.
Der TRANSPORT: Eine Leihgabe aus dem Prado in Madrid kostet allein an Transport leicht 35 000 bis 40 000 Euro. „Der Prado lässt gern eine Polizeieskorte mitfahren“, sagt Haag. Die speziell ausgerüsteten Lastwagen transportieren ab einem Wert von 100 Millionen Euro nur ein Werk. „So fahren manchmal drei oder mehr Lastwagen mit jeweils nur einer Kiste“, sagt Vikas. Die Fahrer dürfen nur in über Europa verteilten gesicherten Garagen anhalten und übernachten. Die Bahn scheidet als Transportmittel wegen der Erschütterungen kategorisch aus. Transporte per Schiff sehen Versicherungen nicht gern, weil Besatzungen im Notfall immer das Recht haben, Container über Bord zu werfen. Das Flugzeug ist in Ordnung. Aber auch hier gilt: Teure Kunstwerke reisen in verschiedenen Maschinen und in Begleitung des Kuriers.
Die LEIHGEBER: Im Fall der beiden Schauen zählen unter anderem der Pariser Louvre, die National Gallery in Washington, die Uffizien in Florenz, die Alte Pinakothek in München, die Staatlichen Museen Berlin und die Eremitage in St. Petersburg zu den Leihgebern. Auch Privatleute lassen sich manchmal gern überreden, ihre Kunstwerke als Teil einer großen Schau wegzugeben. „Es ist nicht schädlich, wenn man dort vertreten ist“, sagt KHM-Experte Christian Hölzl zum wertsteigernden Aspekt einer Präsenz in Häusern wie dem KHM. Bei der Lucian-Freud-Ausstellung hatte ein Milliardär ein Kunstwerk ausgeliehen. Die Bedingung: Extra Security für sein Bild.
KOOPERATIONEN: Angesichts der Kosten und des organisatorischen Aufwands sind Kooperationen von Museen ein Ausweg. „Es wird für die Häuser immer schwieriger, die Werte allein zu stemmen“, meint Haag.
Die SCHAUEN: Bei Bruegel sind der „Triumph des Todes“ (1562) aus dem Prado oder die „Dulle Griet“ (1562) aus Antwerpen eine hochkarätige Ergänzung des eigenen Bestands. Bei Rubens ist die „Venus frigida“ - schon seit einiger Zeit zur Restaurierung in Wien - ein Höhepunkt. Die wissenschaftliche Vorbereitung für Rubens ist weitgehend abgeschlossen. Bei Bruegel arbeiten die Fachleute mit Hochdruck am Katalog. „Im Wesentlichen denke ich schon an Caravaggio 2019“, sagt Weppelmann über den geplanten Höhepunkt der KHM-Herbstausstellung in zwei Jahren.