Gegen Stress hilft, auch mal „Nein“ zu sagen
Die Mehrheit der Deutschen findet ihr Leben anstrengend
Die Zeit heilt Wunden und verklärt Erfahrungen. Ob das Leben heute anstrengender als früher ist, wollten Demoskopen wissen. Ja, sagten 60 Prozent der Befragten. Hätten wir Menschen vor 50 Jahren interviewt, wäre vermutlich ein ähnliches Ergebnis herausgekommen. Es war zu allen Zeiten anstrengend, zu leben. Geändert haben sich die Lebensumstände.
Wir leben heute in Frieden in einem relativ dichten sozialen Netzwerk. Wir können uns vielseitig ernähren und genießen hygienisch und medizinisch den höchsten denkbaren Standard. Wer heute geboren wird, hat eine statistische Lebenserwartung um die 80 Jahre. 1957/58 waren das noch rund zehn Jahre weniger.
Was das Leben heute so anstrengend macht, lässt sich unter der Überschrift „Fortschritt“ zusammenfassen. Wir sind ständig erreichbar, haben auch im Privatleben unsere Arbeit im Kopf. Wir verbringen wertvolle Zeit in überfüllten Bahnen und auf verstopften Straßen. Was heute ein scheinbar sicherer Broterwerb ist, kann morgen schon ein Gewerbe von gestern sein. Und das Zusammenleben der Generationen funktioniert auch nicht mehr so wie früher, als alle unter einem Dach wohnten.
Bemerkenswert an der Forsa-Umfrage ist die Erkenntnis, dass 40 Prozent der Befragten der Meinung sind, es werde nur mehr geredet über die Anstrengungen des Lebens. Auch die haben recht: Wir bringen viel zu leichtfertig den Begriff „Stress“ über die Lippen, anders als Generationen vor uns, die sich im Wortsinne die Knochen kaputt arbeiteten, das aber als unabänderlich hinnahmen. Zumindest in dem Punkt haben wir echte Fortschritte gemacht.
Wie jeder Vergleich kann die Abfrage der Lebens-Zufriedenheit nur Anhaltspunkte für weiteres Nachdenken liefern. Zum Beispiel bei Planern, die Verkehrsströme zu bändigen haben, und bei Politikern, die den Herausforderungen der Demografie Rechnung tragen müssen. Die Studie sollte aber auch den Menschen zu denken geben, die ihr Leben beklagenswert anstrengend empfinden. „Entschleunigung“ ist zwar ein Modebegriff, er beschreibt aber treffend, wie sich jeder Einzelne zumindest im kleinen, persönlichen Rahmen den Verlockungen der Stressgesellschaft entgegenstellen kann: indem er auch mal Nein sagt.