Meinung Sigmar Gabriel schreddert die SPD im Doppel-Dialog

Zu den tollsten Tricks, die mittelalterliche Heilige laut vieler frommer Legenden beherrschten, gehörte die Fähigkeit zur Trans- oder Bilokation, also die geheimnisvolle Gabe, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Da wird Sigmar Gabriel müde drüber lächeln — für ihn ist das Alltag. In einer seiner Welten flüstert ihm Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch ein, er, Gabriel, könnte morgen Kanzler sein. In der anderen Wirklichkeit sind dagegen die neuesten Zahlen des ZDF-Politbarometers real, nach denen Gabriel niemals Kanzler wird und die längste Zeit SPD-Chef gewesen ist.

Letzteres ist ohnehin relativ, nachdem Gabriel vor knapp einem Jahr mit 74,27 Prozent im Amt „bestätigt“ worden ist; selbst der zu recht vergessene Rudolf Scharping genoss mehr Vertrauen. Dass nach der jüngsten ZDF-Umfrage 62 Prozent (ein Plus von sechs Prozentpunkten) aller Befragten Angela Merkel als Kanzlerin vorziehen würden (Gabriel: 25 Prozent; ein Minus von acht Prozentpunkten) ficht Gabriel kaum an.

Aber da gibt es ein zweites Ergebnis, vor dem sich Gabriels Partei kaum wird verschließen können: Merkel läge nämlich nur bei 48 statt 62 Prozent Zustimmung, wenn der Kanzlerkandidat der SPD nicht Gabriel, sondern Martin Schulz hieße. Für ihn statt Merkel als Kanzler würden sich derzeit 37 Prozent aussprechen. Na gut, Umfragen sind keine Wahlen, zehn Monate sind noch Zeit, und hey: 2011 waren selbst in der SPD nur 23 Prozent für Gabriel als Kandidat, heute sind es zwei Prozentpunkte mehr in der Gesamtbevölkerung! Aber selbst Gabriel dürfte zustimmen, dass die Lage für ihn herausfordernd ist (klingt freundlicher als: hoffnungslos).

Sein Leben in den verschiedenen Welten von SPD-Vorsitz und Ministeramt zwingt Gabriel ständig zu einem „doppelten Dialog“: Nach Russland reisen, um die Putin-Freunde in seiner Partei zu bedienen, und sich als Bundesminister beschimpfen lassen, dass die Reise das völlig falsche Signal ist. In den Iran fliegen, was seine Partei furchtbar findet, aber die deutsche Wirtschaft von ihm erwartet — um sich dann von den Mullahs mehr oder weniger rauswerfen zu lassen. Und so geht das in einem fort, zuletzt beim Handelsabkommen Ceta.

Was Gabriel für eine Strategie des doppelten Dialogs hält, schlägt sich in den Umfragewerten als Wahrnehmung eines fortgesetzten Redens mit gespaltener Zunge nieder. Dazu wird der SPD etwas einfallen müssen.