Meinung Wien auf Kurs Westbalkan

Dass die zur „Wahlliste Sebastian Kurz“ gewandelte ÖVP die österreichische Nationalratswahl klar gewonnen hat, ist keine Überraschung. Aber es kam schlimmer: Die stramm rechte FPÖ wurde zweitstärkste Kraft im Nachbarland - nicht einmal diese Demütigung blieb den österreichischen Sozialdemokraten erspart.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Die europäische Sozialdemokratie erlebte nach Frankreich, den Niederlanden und Deutschland die vierte Deklassierung in Folge.

Sebastian Kurz wird sich statt an einer Fortsetzung der Großen Koalition eher an einem schwarz-blauen Bündnis versuchen — und das Land damit weiter nach rechts rücken. Das kann außer der bayerischen CSU, die gestern Abend „unserem Freund Sebastian Kurz“ auf Twitter euphorisch gratulierte, in Deutschland niemanden freuen.

Denn damit würde Österreich inhaltlich noch weiter an die „Visegrád“-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn rücken. Benannt ist dieses halboffizielle Binnenbündnis, das in der EU aus westlicher Sicht mehr durch Störungen als konstruktive Beiträge auffällt, nach einer ungarischen Stadt, in der sich 1335 die Könige Böhmens, Ungarn und Polens trafen; 1991 verabredeten sie dort ein Freihandelsabkommen. Ein schwarz-blau regiertes Österreich läge eher auf dem EU-konfrontativen Kurs von Jaroslaw Kaczynski in Polen oder Viktor Orbáns Ungarn. In Tschechien, wo am 20. und 21. Oktober das Parlament neugewählt wird, droht mit Andrej Babis ein weiterer Rechtspopulist das Rennen zu machen; Kenner beschreiben ihn als eine Mischung aus Donald Trump und Silvio Berlusconi.

Wien als Metropole eines ideologischen Westbalkans, wegen seines späten EU-Beitritts 1995 und der leicht angespannten Nachbarschaft ohnehin eher locker im Westen verankert — das ist außerhalb Bayerns gar kein Anlass für Twitter-Glückwünsche.