Gerhard Richters Gemälde „Ruhrtalbrücke“ ist derzeit in Wien zu sehen Das Ruhrgebiet als Garten Eden
KÖLN. · Das Ruhrgebiet als traumhaft schöner Ort - ein Widerspruch in sich? Keineswegs! Gerhard Richter hat den Beweis dafür erbracht, und dies zu einer Zeit, als das Revier noch ein richtiger Kohlenpott war, mit rauchenden Schornsteinen, Ruß spuckenden Kokereien und flackernden Stichflammen.
Von all dem ist auf seinem Bild „Ruhrtalbrücke“ allerdings nichts zu sehen. Richter malte das Ruhrgebiet 1969 wie einen Garten Eden.
Stolze 1,50 mal 1,20 Meter misst das Ölgemälde, das heute als eines seiner schönsten Landschaftsbilder gilt. Es zeigt die 60 Meter hohe Mintarder Ruhrtalbrücke in Mülheim. Wunderbar elegant schwingt sie sich über das Ruhrtal, das im übrigen völlig unberührt wirkt. Ein grünes Tal, durchflossen vom silbernen Band der Ruhr, ohne jede Besiedlung. Darüber wölbt sich ein hoher blauer Himmel.
Richter, der am 9. Februar 89 Jahre alt wird, scheint sich ganz gern an die Entstehungszeit des Bildes zurückzuerinnern. Er wohnte damals in Düsseldorf und besuchte regelmäßig einen befreundeten Berufsschullehrer in Essen. „Der war künstlerisch sehr interessiert und stand uns mit Rat und Tat zur Seite. Da bin ich dann immer über die Brücke gefahren“, erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist auch nicht weit.“
Es ist ein glücklicher Zufall, dass ausgerechnet die Entstehung der „Ruhrtalbrücke“ von dem Filmemacher Hannes Reinhardt dokumentiert wurde. Der 25 Minuten lange Farbfilm zeigt, wie Gerhard Richter durch das Ruhrtal fährt, einen passenden Standpunkt sucht und dann Fotos macht. Diese Szene ist offenkundig nachgestellt. Richter selbst erinnert sich: „Ich hatte eine Stelle gefunden, wo es gar keine Gebäude gab.“ Das beweist auch das Foto, nach dem er das Bild malte.
Der Film zeigt, wie Richter das ausgewählte Foto in seinem Atelier am Düsseldorfer Fürstenwall unter ein Episkop legt, es damit auf die Leinwand projiziert und dann die Umrisse mit einem Kohlestift nachmalt. Dann trägt er mit breitem Strich die Farbe auf und verwischt sie. Ganz am Ende zieht er mit dünnem Pinsel den schnurgeraden Strich der Brücke. Anschließend gönnt er sich zur Belohnung eine Zigarette. Dazu heißt es, Gerhard Richter sei „sicher kein Künstler nach landläufigen Begriffen“, habe aber „im internationalen Kunsthandel bereits seinen Preis“. Heute gilt er als teuerster lebender Maler der Welt.
Ab Ende März soll das
Gemälde nach Zürich reisen
Die „Ruhrtalbrücke“ befindet sich in Privatbesitz, doch zurzeit ist sie im Kunstforum Wien ausgestellt: Dort läuft noch bis zum 7. März die bisher größte Ausstellung zu Richters Landschaftsmalerei. Derzeit ist die Schau allerdings wegen des Corona-Lockdowns bis voraussichtlich 7. Februar geschlossen. Im Anschluss zieht die Ausstellung weiter ins Kunsthaus Zürich, wo sie nach derzeitiger Planung vom 26. März bis 25. Juli zu sehen sein wird.
Wie schon so oft war auch jetzt zur Eröffnung der Ausstellung wieder zu lesen, Richter habe mit der „Ruhrtalbrücke“ den Einbruch des Menschen in die Natur dokumentieren wollen: Brutal zerschneide die Brücke das Tal und zerstöre damit die romantische Ansicht, hieß es.
Doch so hat er es gar nicht gemeint: Er halte die Brücke für ein „großartiges Bauwerk“, betont Richter. Eigentlich sieht man das auch: Die Brücke erstreckt sich auf dem Bild so erhaben von einem Ende des Tals zum anderen, als wäre sie von Caspar David Friedrich in Szene gesetzt worden.
„Sie zieht sich wie ein Strich durch die Landschaft“, sagt Dietmar Elger, Leiter des Gerhard-Richter-Archivs in Dresden.
Richter selbst erzählt: „Friedrich gehört zu den Malern, die ich besonders schätzte und schätze. Er hat schon einen gewissen Einfluss gehabt.“ Natürlich sei ihm klar, dass das Bild irgendwo ein „Kuckucksei“ sei: „Weil man heute nicht mehr so malen kann, nicht mehr so denkt. Insofern ist es so getan, als ob.“ Religiöse oder politische Bedeutungen so wie zur Zeit der Romantik um 1800 seien dem Bild sicher nicht zuzuschreiben, ergänzt Richter-Biograf Elger.