Schlechte Bezahlung Erzieher gesucht - NRW fehlen über 15 000 Fachkräfte für gute Kitas

Düsseldorf · Die ideelle Anerkennung für Erzieherinnen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Doch dafür können sie sich nichts kaufen: In dem Mangelberuf müssen junge Leute ihre Ausbildung meist selbst finanzieren. Dort, wo sie am meisten fehlen, sind die Mieten zu hoch.

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Für eine gute Betreuung in den Kindertagesstätten (Kitas) fehlen in Nordrhein-Westfalen nach Berechnungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mehr als 15 000 Fachkräfte. Derzeit sei der Personalschlüssel noch weit entfernt von wissenschaftlichen Empfehlungen für gute Qualität, sagte GEW-Referentin Joyce Abebrese der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf.

Nach Ansicht der Gewerkschaft sollten von einer Fachkraft nicht mehr als drei Kinder unter drei Jahren betreut werden. Bisher gelte stattdessen die statistische Richtschnur 1:3,7. Bei Kindern über drei Jahren fordert die GEW einen statistischen Richtwert von 1:7,5. Tatsächlich liege der Fachkraft-Kind-Schlüssel hingegen bei 1:8,9.

Das Familienministerium hielt dagegen, die Landesregierung habe in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, um dem steigenden Bedarf an Betreuungsplätzen sowie an Flexibilität und Qualität gerecht zu werden. Zwischen März 2009 und März 2018 sei die Gesamtzahl der Beschäftigten in den NRW-Kitas um rund 44 Prozent auf 115 400 gestiegen - darunter etwa 81 200 Erzieher (plus 47 Prozent).

Zum Start des neuen Kita-Jahres am 1. August hatte das NRW-Familienministerium kürzlich auch den größten Zuwachs an Plätzen seit zehn Jahren vermeldet. Demnach stehen für Kita-Kinder aller Altersklassen über 644 000 Plätze in Einrichtungen bereit. Die Zahl der Kitas stieg im Vergleich zum Vorjahr um rund 250 auf 10 316.

„Angesichts der demografischen Entwicklung, des steigenden Bedarfs und fortlaufenden Platzausbaus wird die Landesregierung eine Fachkräfte-Offensive starten, um den Erzieherberuf attraktiver zu gestalten“, kündigte das Familienministerium an.

Ein Riesenproblem sei das Finanz-Loch in der Ausbildung - bei gleichzeitig horrenden Mieten in den Großstädten, erklärte Tarif-Expertin Abebrese. Bisher müssten die jungen Leute ihre Ausbildung für den Mangelberuf selbst finanzieren. „Sie erhalten kein Ausbildungsgehalt“, kritisierte die Gewerkschafterin.

In der klassischen Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher folge auf eine zweijährige schulische Ausbildung ohne Bezahlung ein einjähriges Praktikum, das im öffentlichen Dienst mit rund 1600 Euro monatlich vergütet werde. „Von einer zu zwei Dritteln unbezahlten und zu einem Drittel unter 2000 Euro brutto bezahlten Ausbildung können sich angehende Erzieher*innen keine Mieten in Ballungszentren wie Köln oder Düsseldorf leisten“, stellte Abebrese fest.

Vor allem Männer locken solche Aussichten nicht. Laut Kinder- und Jugendhilfestatistik waren im vergangenen Jahr in NRW nur knapp 3200 Männer als Erzieher tätig. Das sind vier Prozent aller ausgebildeten Erzieher in diesem Beruf.

Die GEW fordert mehr Plätze in der sogenannten praxisintegrierten Ausbildung - eine Art dualer Zweig mit vergüteter Anstellung. Das Familienministerium sagte dies zu. Ab August 2020 sollen Einrichtungen, die so ausbilden, dafür Extra-Zuschüsse erhalten.

Im Schuljahr 2018/19 waren nach Zahlen des Ministeriums rund 24 300 angehende Erzieher in der Ausbildung - 60 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. 3100 sind demnach bereits in einer praxisorientierten Ausbildung. Außerdem seien die Zugangsbedingungen für Erzieher aus anderen EU-Ländern - insbesondere den Niederlanden - erleichtert worden. Mit der geplanten Reform des Kinderbildungsgesetzes (Kibiz) würden die Anstrengungen, mehr Fachpersonal für die Kitas zu gewinnen weiter verstärkt, versicherte das Ministerium.

Die GEW ist skeptisch. „Der Entwurf für ein neues Kibiz ist an vielen Stellen nicht mit der Praxis kompatibel“, meinte Abebrese. Solange der Betreuungsschlüssel so schlecht sei und Fachkräfte ständig Personalausfall durch Krankheit, Urlaub, Fortbildung auffangen müssten, mache es keinen Sinn, über flexiblere Öffnungszeiten oder weitere beitragsfreie Kita-Jahre zu entscheiden.

Anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Düsseldorfer Landtag hatte ein Aktionsbündnis von Gewerkschaften, Kitas, Eltern und Kirchen im Juli rund 80 000 Protestunterschriften zusammengetragen. Sie befürchten, dass sie geplante Flexibilisierung der Öffnungszeiten auf Kosten von Kindern und Erziehern geht.

(dpa)