Häusliche Pflege Corona – große Last für die Pflege zu Hause

Düsseldorf · Sozialverband VdK hat Pflegende und ihre Angehörigen befragen lassen. Viele waren in der Pandemie auf sich gestellt. Ruf nach höherem Pflegegeld.

Die meisten pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause von ihren Angehörigen versorgt.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Die Isolation ohne Besuche der Angehörigen, aber auch das Sterben in Einsamkeit in Pflegeeinrichtungen – all das war zu Recht ein großes Thema und ein bitteres Kapitel in der noch andauernden Pandemie. Doch dabei wurde weitgehend eine viel größere Gruppe von zu Pflegenden vergessen: diejenigen, die nicht in Heimen, sondern in ihren eigenen vier Wänden von professionellen Pflegediensten oder aber von Angehörigen betreut werden.

Wie groß diese Gruppe ist, weiß Horst Vöge, der Vorsitzende des Sozialverbands VdK NRW: In Nordrhein-Westfalen sind nach zuletzt veröffentlichten Angaben im Jahr 2019 etwa 965 000 Menschen auf Hilfe und Pflege angewiesen. Der VdK geht aber davon aus, dass es inzwischen mehr als eine Million sind. 170 000 Menschen werden in NRW stationär in Pflegeheimen betreut. Und damit der weitaus größere Teil zu Hause. Wobei auch da nur etwa 226 000 Menschen von Profis betreut werden. Der große Rest von deutlich mehr als einer halbe Million Pflegebedürftigen wird von Angehörigen versorgt.

35 Prozent mussten
mit weniger Hilfen klarkommen

Wie all diese Menschen klar kommen, insbesondere in der Pandemie, das ist, wie Vöge sagt, ein „riesiges dunkles Loch“, es gebe da kaum Erkenntnisse. Nach einer von der Hoschule Osnabrück im Auftrag des VdK durchgeführten Befragung (siehe Infokasten) hat die Corona-Pandemie in NRW bei etwa 35 Prozent der Pflegehaushalte dazu geführt, dass bestehende Unterstützungsangebote oder -leistungen abgesagt wurden oder nicht mehr in Anspruch genommen werden konnten. Als Hauptgrund wurde mit deutlichem Abstand die Angst vor einer Ansteckung genannt. Auch konnten Unterstützungsangebote nicht mehr in Anspruch genommen werden, weil zum Beispiel Tagespflegeeinrichtungen aufgrund der Corona-Pandemie schließen mussten. Oder weil die Anbieter aufgrund der hohen Nachfrage keine Kapazitäten mehr hatten.

Wenn etwas mehr als ein Drittel der Betroffenen bestehende Unterstützungsangebote nicht mehr in Anspruch nahmen, so bedeutet das, dass vor allem pflegende Angehörige die Lücke füllen mussten. Entsprechend schätzten etwa 47 Prozent der pflegebedürftigen Personen und 48 Prozent der pflegenden Angehörigen die Belastungen durch die Pflege während der Corona-Pandemie als sehr viel höher ein als vorher.

Ruf nach einem Notfallplan für künftige Pandemien

Damit sich so etwas nicht wiederholt, fordert VdK-NRW-Chef Horst Vöge einen Notfallplan des Landes für künftige Pandemien, der die Versorgung zu Hause sicherstellt. Und er kritisiert deutlich, dass bei der zurückliegenden Pflegereform auf Bundesebene die eigentlich geplante Erhöhung des Pflegegeldes einfach wieder gestrichen wurde. Diese entfallene Erhöhung hätte ein Volumen von bundesweit 1,8 Milliarden Euro ausgemacht. Pflegegeld wird dann gezahlt, wenn ein Pflegebedürftiger zuhause von Angehörigen, Bekannten oder Freunden gepflegt wird. Je nach Pflegegrad liegt es derzeit zwischen 316 und 901 Euro monatlich.

Unabhängig von den Auswirkungen der Corona-Krise fordert der VdK eine steuerfinanzierte Pflegevollversicherung (also ohne Eigenbeteiligung). Und die Einführung einer Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige entsprechend dem Elterngeld. Auch rentenrechtlich müssten pflegende Angehörige besser abgesichert werden. „Pflege darf nicht arm machen“, appelliert Vöge an die neue Bundesregierung, die das Thema gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode anpacken müsse.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts verschärft die Situation

Hinzu kommt ein weiteres ungelöstes Problem: Das Bundesarbeitsgericht hat bekanntlich vor ein  paar Wochen geurteilt, dass nach Deutschland vermittelte ausländische Pflege- und Haushaltshilfen, die Senioren in ihren Wohnungen betreuen, Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Und das gelte nicht nur für die tatsächlich geleitsteten Arbeitsstunden, sonden auch für Bereitschaftszeiten, in denen – zumeist aus Osteuropa stammende Frauen – Betreuung auf Abruf leisten. Der VdK, der selbst für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde eintritt, sieht natürlich, dass dies die Pflege noch einmal teurer machen wird. Aber es dürfe eben nicht das Motto „Hauptsache billig“ gelten, sagt Vöge. Manuela Anacker, Leitende Referentin Sozialpolitik beim VdK NRW, sieht auch noch nicht, wie dieses Urteil in die Praxis umgesetzt werden soll. Es gehe darum, Gruppen nicht gegeneinnander auszuspielen. „Auch die Personen, die zu uns kommen, müssen geschützt werden.“ Hier gehe es um viel Geld, und ein Gutteil davon komme gar nicht bei den Pflegekräften selbst an.