Symphonik ist befreit. Dieser Abend war ein symphonischer Befreiungsschlag. Wenngleich man derzeit sehr vorsichtig sein sollte mit potenziell militärischen Analogien – der Krieg in der Ukraine ist zu schrecklich, um kriegerische Wortspiele unreflektiert nutzen zu dürfen – passt dieser Begriff hier.
Der Krieg im Osten Europas geht uns besonders nah. So wie alle Menschen treibt er auch Musiker und Musikerinnen um. Es wird derzeit viel in Konzerten über Krieg gesprochen, sich gegen den russischen Angriff positioniert. Hat man das Gefühl, dass früher ausreichte, die universelle Sprache der Musik dem Schrecken entgegenzuhalten, scheint heute das Aussprechen und Kommentieren der eigenen Haltung unerlässlich geworden. Wenngleich Musik immer noch über jeden Krieg, jede Politik und jede Nutzbarmachung erhaben bleibt. Auch bei dem 5. Sinfoniekonzert im Seidenweberhaus sprach die Solistin des Abends, die russische Geigerin Alena Baeva eindringliche, pathetisch vorgetragene, Worte, bevor sie eine Zugabe spielte. Generalmusikdirektor Mihkel Kütson indes, der im zweiten Teil des Konzerts Tschaikowskys so hochpersönlich-schicksalhafte „Pathétique“ dirigierte, beließ es bei der Tradition die Musik für sich zu sprechen. Eine Musik, die schon genug „Aussage“ in sich trägt und eigentlich nur noch von Orchester und Dirigent immer wieder aufs Neue zum Sprechen gebracht werden muss.