Ski-Verein aus Krefeld Drüben auf dem Hügel

Krefeld · Keine Berge, aber trotzdem Skirennen in den Alpen gewinnen – der Alpinsport Club Krefeld macht es möglich. Wie kriegen die das hin?

Die Skihalle in Neuss geht nicht nur zu Karneval als Alpenpiste. Die Fahrer des ASC Krefeld sind froh, dass es sie gibt.

Foto: Andreas Endermann

Bevor einer überhaupt nur den Gedanken belächeln kann, dass Krefeld und Skifahren in ein- und denselben Satz gehören. Bevor einer erst Recht daran zweifelt, dass es in dieser Stadt einen Verein gibt, der alpine Skirennläufer ausbildet, steht da dieser schmächtige 14-Jährige vor einem. Marc Heckers, Krefelder, Harry-Potter-Optik. Marc erzählt, wie ihn die Eltern mit in den Skiurlaub nahmen, fünf war er da, und am letzten Tag wollte er auch mal fahren. Er habe gleich den Kinderhügel geschafft, so erzählte es ihm seine Mutter noch Jahre später. Also fuhr er einfach weiter Ski.

Mit elf Jahren schaffte er es zu „Jugend trainiert für Olympia“, ein paar Monate später nominierte der Westdeutsche Skiverband ihn für sein Nachwuchsteam. Wir reden hier noch immer über einen Jungen aus Krefeld, 38 Meter über dem Meeresspiegel. Im Winter fährt er jedes zweite Wochenende zu Rennen in die Alpen, also seine Eltern fahren, gleich am Freitag nach der Schule. Während Marc redet, in der Neusser Skihalle, geht alles in seinem Gesicht in Begeisterung auf. Dann stiefelt er von der Umkleide auf die Skipiste, fährt mit dem Sessellift nach oben und deutlich schneller den Abhang wieder runter. Nicht bloß runter, um Slalomstangen herum. Selbst der Laie erkennt, dass er das nicht zum ersten Mal macht.

Wer sich am Niederrhein zum Skirennläufer berufen fühlt, hat es schwer, doch in Krefeld kann er diese abwegige Idee sogar in einem Verein verfolgen. Marc fährt für den ASC Krefeld, den Alpinsport Club Krefeld. Es gibt andere Skivereine in der Region, sogar einen weiteren in Krefeld, den Ski-Klub Uerdingen, aber die meisten Vereine in NRW organisieren vor allem Busreisen in die Alpen. Der ASC Krefeld hingegen will Kinder und Jugendliche aus der Gegend zu so guten Skifahrern machen, dass sie an Rennen teilnehmen können mit Sportlern, die Berge und Schnee vor der Haustür haben. Zum Fußball wird man im Zweifel mitgeschleppt, Skifahren muss man wollen. Christian Schmitt, der Vorsitzende des Vereins, sagt: „Der Anteil der Verrückten ist höher.“

Das Vorfreudegrinsen des Marc Heckers (Zweiter von rechts)...

Foto: Andreas Endermann

Zu diesen Verrückten ist unbedingt Christian Schmitt selbst zu zählen, auch wenn er auf den ersten Blick gar nicht so wirkt. 59, Schnurrbart, mittelgroß geraten. Stimme und Gesicht sind wie gemacht, um den Leuten die Angst zu nehmen, die sich auf seinen Zahnarztstuhl setzen. Mit dieser Stimme kann er auch ohne zu überlegen von den Besonderheiten des Pulverschnees erzählen oder von der Gewichtsverlagerung auf den Skiern. Man könnte ihn nachts wecken und bitten, einem zu erklären, wie das noch mal war mit der Ideallinie um die Slalomstangen. Schmitt fährt Ski, seit er acht ist, weil die Eltern auch schon Ski fuhren. Vor 15 Jahren schloss er sich dem Ski-Klub Bayer Uerdingen an, weil seine Tochter Rennen fahren wollte und es in seiner Heimat Sprockhövel keinen Verein gab. Als der Klub in die Insolvenz ging, gründete er 2015 mit einigen Mitgliedern der Rennsportabteilung den ASC Krefeld. Schwerpunkte: Slalom und Riesenslalom.

Die größten Probleme des Skifahrers in Krefeld sind ein Mangel an Schnee und ein Mangel an Bergen. Man tut dem Hülser Berg und seinen 63 Metern kein Unrecht, ihn für den Sport nicht in Erwägung zu ziehen. Immerhin steht in Neuss etwas, das einer alpinen Piste nahekommt. Die Krefelder jedenfalls sind froh, dass sie die Skihalle haben. Auch wenn die Sonne dort niemals scheint, sondern bloß die Lampe von den grauen Decken, und sich das Gefälle eher an Touristen orientiert als an Rennfahrern. Dafür aber liegt die Temperatur konstant bei drei Grad unter Null, die Piste ist gepflegt, der Schnee rieselt als Pulver herab. Die Technik üben lässt sich hier sowieso genauso gut wie draußen. Zwar könnten sie in Winterberg an der frischen Luft hinunterfahren, doch das Sauerland ist nicht nur weiter entfernt, sie könnten dort auch keinen Slalomkurs abstecken, weil die Hangbetreiber allen Platz für die Touristen brauchen.

... auf die Fahrt ins Tal.

Foto: Andreas Endermann

So fallen die Mitglieder des ASC mit ihren leuchtend grünen Jacken im Winter jeden Mittwochnachmittag in Neuss ein, lassen sich auf 110 Meter Höhe fahren und brettern wieder hinunter, während der reguläre Betrieb in der Halle weiterläuft. Den Slalomkurs am Rand der Piste hat einer der Trainer in den Schnee gebaut. Für die Löcher braucht er einen Akkuschrauber mit einem riesigen Bohraufsatz. Den bekommt man nicht im Baumarkt, sondern für 150 Euro im Fachhandel. Dann die Stangen in den Boden stecken, die Enden sehen aus wie die Bürsten in einem Kneipenspülbecken. Und dann klack... klack... klack... immer schön die Stangen beim Runterfahren wegdrücken, denn das ist der kürzeste Weg. Wobei der Weg sowieso kurz ist. Viel mehr als 300 Meter gibt die Halle nicht her. Unten, sagen wir ruhig im Tal, stehen die Trainer, schauen sich den Lauf an und geben Hinweise, nachdem der Fahrer innerhalb von drei, vier Metern auf Null gebremst hat.

Martin Metz zum Beispiel, 54, Zauselbart, zweiter Vorsitzender. Er ist in Sichtweite der echten Berge aufgewachsen, auf 700 Metern im Allgäu, mit 16 fing er an, in einer Skischule zu arbeiten. Dann traf er eine Frau, sie kam vom Niederrhein, und so wohnt er seit 1995 eben in Krefeld. Oder Manfred Loipold, 57, der nicht mehr darauf angesprochen werden möchte, dass er tatsächlich Österreicher ist, Kärntner. Ein alter Hut für ihn. Er wohnt schon so lange in Deutschland, dass die Österreicher ihn „den Deutschen“ nennen. Er selbst nennt sich lieber Europäer. Oppositionsbank, Regierungsbank, Anklagebank, so beschreibt er die typische Karriere eines österreichischen Politikers. Mit Skiern an den Füßen aufgewachsen, sagt er über sich selbst.

Halt! Trainer Matthias Held hat vor der nächsten Fahrt noch was zu sagen.

Foto: Andreas Endermann

Die beiden arbeiten wie alle im Verein ehrenamtlich. Sportvereine haben es grundsätzlich schwer, Mitglieder zu finden und genug Geld aufzubringen. Das gilt für einen Skiclub im Flachland besonders. 100 Euro kostet die Mitgliedschaft im Jahr, knapp 50 Mitglieder hat der ASC. Dazu kommt ein bisschen was von Sponsoren, Spendern und dem Landessportbund. Viel ist das nicht, und Skifahren ist ein teurer Sport. Das Material müssen die Mitglieder selbst zahlen. Eine solide Ausrüstung für ein Kind mit Skiern, Anzug, Stöcken, Helm und Handschuhen kostet knapp 500 Euro, schätzt Schmitt. Er behauptet erst gar nicht, dass Skifahren für jede Einkommensklasse erschwinglich ist. Die Eltern der Fahrer sind Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte. Mittelschicht aufwärts, sagt Schmitt. Bezahlen müssen die auch die Fahrten in die Alpen, zu den Rennen, mindestens aber ins Sauerland. Die Rennen beginnen gerne samstags um neun.

Trotz des Nischendaseins im Rheinland bringt der ASC immer wieder Talente hervor, die gegen die Konkurrenten aus den Bergen bestehen. Nicht nur der 14-jährige Marc. Jill Paland, 19, wuchs in Hilden auf, stellte sich auf die Skier, bevor sie sich vor eine Schultafel stellte, und teilt ihr Leben nun zwischen Studium in Kiel, Segeln und Skifahren auf. Im Januar wurde sie westdeutsche Meisterin im Parallelslalom. Die westdeutschen Meisterschaften finden nicht im Sauerland statt, sondern in der österreichischen Gemeinde Maria Alm. In diesem Jahr auf Kunstschnee.

Eine Karriere auf Skiern strebt sie aber nicht mehr an, Marc Heckers hat sich ebenfalls dagegen entschieden. Doch auch vom Flachland ist der Weg in die Ski-Elite möglich. Andreas Sander wuchs im zumindest hügeligen Schwelm (Ennepe-Ruhr-Kreis) auf und gehört seit mehreren Jahren zur erweiterten Weltspitze der Abfahrer. Roman Frost brachte es vom tellerflachen Münster zum deutschen Jugendmeister. Bis heute fährt er für den Ski-Club Bayer Leverkusen.

Ein solches Talent würde auch beim ASC Krefeld nicht unentdeckt bleiben. Und müsste dann für die Karriere in ein Ski-Gymnasium nach Süddeutschland ziehen. Dorthin, wo keine Lampe auf die Piste scheint, sondern die Sonne.