Güterzug rast in Auto Unfall an Bahnstrecke: „Ich hörte eine Frau, die um Hilfe rief“

Ratingen · Nach einer Tagung erlebt Salvatore Iavarone den Horror: Vor ihm ereignet sich ein schrecklicher Unfall. Der Wagen einer Frau wird am Bahnübergang vor der Auermühle in Ratingen vom Güterzug erfasst.

Es ist fast 17 Uhr an einem Donnerstagabend. Salvatore Iavarone kommt gerade von einer Tagung in einer abgelegenen Gaststätte in einem Waldstück an der Auermühle in Ratingen. Fast alle Kollegen haben sich bereits auf den Heimweg gemacht. Der 43-Jährige jedoch verquatscht sich, raucht noch eine Zigarette. Wäre er zeitig losgefahren, hätte er einen der schlimmsten Tage in seinem Leben nicht erlebt – und hätte kein Leben gerettet.

Denn was sich in den nächsten Minuten abspielt, will er nie wieder erleben. „Und trotzdem würde ich immer wieder genauso handeln“, sagt der Krefelder. Er und einige Kollegen warten in ihren Autos an einem Bahnübergang in einer Kurve. Die Lichtanlage steht auf Rot. Dennoch fährt das Fahrzeug auf der Gegenspur plötzlich los. „In dem Moment wird der Wagen von einem Güterzug erfasst. Der Lokführer hatte noch versucht zu bremsen, doch er schliff den Wagen schon mit“, erzählt Iavarone.

Geistesgegenwärtig steigen er und ein junger Mann im Auto hinter ihm aus. „Ich sagte ihm, er solle den Notruf wählen und dann hinterherkommen.“ Als der Zug steht, kriecht Iavanore unter diesem hindurch, versucht zu dem Unfallfahrzeug zu gelangen. „Da hörte ich schon eine Frau, die um Hilfe rief. Ihr Auto lag auf der Seite und war komplett zerstört. Das Schiebedach und alle Türen bis auf die Fahrertür waren abgerissen worden. Die Frau hing in ihrem Gurt fest, blutete stark am Kopf und ihre Beine waren unter dem Lenkrad eingeklemmt.“

In diesem Mercedes verunglückte eine 43-jährige Erkratherin am 25. November 2022, als der Wagen von einem Güterzug erfasst wurde.

Foto: RP/Feuerwehr Ratingen

Zum Glück für die Verletzte ist Iavanore Medizinisch-technischer Assistent, kennt sich mit schweren Verletzungen also aus. „Es ist aber etwas komplett anderes, verunfallte Personen zu röntgen, als selbst bei solch einem Unfall dabei zu sein.“ Er und die anderen Helfer befreien zunächst die Beine der Frau, dann holen sie sie aus dem klemmenden Gurt heraus und bugsieren sie vorsichtig durch das Schiebedach nach draußen. Währenddessen qualmt es im Innenraum des Fahrzeuges wegen der ausgelösten Airbags. „Ich bat dann einige Kollegen, nach dem Lokführer zu sehen, da ich mich wunderte, dass er nicht ausgestiegen war. Später habe ich erfahren, dass er das wohl nicht durfte, er hatte den Unfall aber bereits gemeldet“, erzählt Iavarone.

Dann treffen endlich die Rettungskräfte ein. Zuvor bat die verunglückte Fahrerin den 43-Jährigen um ihr Mobiltelefon, um ihre Tochter anrufen zu können. „Ich suchte es und fand es auf den Bahnschienen“, so der 43-Jährige. Als die Polizei ihn vernimmt, bricht es aus ihm heraus. „Da flossen dann die Tränen.“ Zu Hause angekommen steht er unter Schock, kann zunächst nicht über das Erlebte sprechen. „Mein ganzer Körper tat weh. Ich musste erst einmal ein Bad nehmen. Das ganze Wochenende über schossen mir die Bilder durch den Kopf, was passiert war, was hätte passieren können. Erst als ich erfuhr, dass die Frau außer Lebensgefahr war und es ihr besser ging, ging es auch mir besser.“

Auch über den Bahnübergang muss er nachdenken. „Meine Kollegen und ich hatten schon auf dem Weg hin zum Restaurant ein mulmiges Gefühl, als wir darüber hinwegfahren mussten. Denn zu der einen Seite hin war er nicht einsehbar, da er direkt im Wald liegt. Die Schienen lagen in einem toten Winkel. Es gab keine Haltelinie und keine Bahnschranke. Man konnte nicht sehen, ob ein Zug kam.“ Wie es zu dem Unfall kommen konnte, ob die Frau das Lichtsignal übersah, ist unklar. Auf der Spur, auf der Salvatore Iavarone und seine Kollegen standen, leuchtete die Ampel rot auf. „Bevor die Frau losfuhr, machte sie noch die Lichthupe. Warum sie fuhr, weiß ich nicht.“

Iavanore erholt sich langsam von dem Schock, hofft, dass das Reden darüber hilft, das Erlebte zu verarbeiten. Für ihn sei das Schlimmste der Weg hin zum Unfallauto gewesen. „Ich habe mir in meinem Kopf ausgemalt, wie schlimm es wohl ist. Als ich dann am Auto war und die Frau ansprechbar war, habe ich nur gehandelt.“ Auch die Ungewissheit über den Zustand der Verletzten habe an ihm genagt. „Erst, als ich wusste wie es ihr geht, ging es mir besser.“ Nie wieder wolle er so etwas erleben. Doch dass er da war, bereut er nicht.