Als das Lied „Je t’aime … moi non plus“ von Jane Birkin und Serge Gainsbourg 1969 veröffentlicht wurde, fuhr ich morgens, je nach Wetterlage, mit der Eisenbahn oder mit dem Mofa von Wuppertal-Barmen nach Schwelm in Westfalen, wo ich eine Ausbildung zum Bürokaufmann absolvierte. Unterschiedlicher können Biografien kaum sein. In den späten Achtzigerjahren waren Birkin und ich einmal ganz kurz zusammen in Paris, das heißt, sie lebte dort mit dem Regisseur Jacques Doillon, meine weibliche Reisebegleitung - die Jane Birkin übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten war - und ich fuhren ohne Halt durch Paris, nachdem wir ein oder zwei Tage in der Bretagne verliebt waren, weil ihr eigentlicher Lebensgefährte eine längere Abwesenheit nicht ohne weitreichende Konsequenzen akzeptiert hätte. Außerdem war der 14. Juli, der Nationalfeiertag, da bekam man in der französischen Hauptstadt eh keinen Parkplatz. Alles kein Drama. Aber das wollte ich gar nicht erzählen.
Mein Bruder, der morgen seinen zweiundsiebzigsten Geburtstag hätte feiern können, wenn er nicht 2009 in Frankreich verstorben wäre, übersetzte mir den Text des Liedes, das europaweit erfolgreich und skandalös zugleich war, und ließ dabei durchblicken, dass er auch schon Verkehr mit dem anderen Geschlecht hatte. Da das Lied im Radio nicht gespielt wurde, hatte sich mein Bruder die Platte gekauft. Jane Birkins lustvolles Stöhnen hörte man noch bis in die Küche, wenn er seinen Schallplattenspieler voll aufdrehte. Ich wurde knallrot. Oma war niedlich, sie hielt sich die Ohren zu und versuchte mit einem fröhlichen „Im Frühtau zu Berge“ dagegenzuhalten, wenn Serge Gainsbourg „Wie die ziellose Welle gehe ich, ich gehe und komme zwischen deinen Lenden“ sang, allerdings mit Rücksicht auf meine Großmutter auf Französisch. Meine liebe Oma, 1899 geboren, war ein herzensguter Mensch und sehr gläubig, dafür hatten ihre Enkel nicht allzu viel Verständnis. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Für meine Großmutter war es daher keine einfache Zeit, als eine Sexwelle Ende der Sechzigerjahre über Europa hinweg schwappte.
Begrabt mein Herz in Wuppertal Ein Lied, für das sich Oma die Ohren zuhielt
Wuppertal · Begrabt mein Herz in Wuppertal: Uwe Becker denkt an Jane Birkins lustvoll gehauchten Gesang zurück – und wie seine Oma darauf reagierte.
09.08.2023
, 09:00 Uhr