Jahresrückblick Diese Fotos erzählen das Jahr 2022 in Wuppertal nach
Januar: Monatelang hatten Aktivisten mit Baumhäusern das Waldstück im Osterholz besetzt, das die Kalkwerke Oetelshofen für eine Halde nutzen wollten. Ein Runder Tisch, an dem eine alternative Lösung gefunden werden sollte, um die rund 1500 Bäume zu erhalten, scheiterte. Am Dienstag, 25. Januar, räumte die Polizei den Wald mit einer Hundertschaft. Um kurz vor sechs Uhr morgens fuhren 20 Einsatzwagen auf den nahegelegenen Wanderparkplatz. Die Polizei betonte, dass sie den Konflikt möglichst friedlich lösen wolle: „Unser Ziel ist es, dass hier heute alle gesund nach Hause gehen“, sagte Polizeisprecher Stefan Weiand vor Ort. Die Beamten suchten zunächst das Gespräch mit den Waldbesetzern, die auf Platzverweise nicht reagierten. Eine Stunde nach Beginn des Einsatzes drohte die Situation für einen Moment zu kippen. Flaschen flogen in Richtung Polizei, eine Frau drohte, vom Baumhaus zu springen. Die Polizisten ignorierten die Provokationen. Abseits des besetzten Waldstücks protestierte die Bürgerinitiative „Osterholz bleibt“ gegen die Rodung. Als die Polizei die Mahnwache an einen anderen Ort verlegen wollte, gingen die Teilnehmer in einen Sitzstreik. Die Polizei löste die Kette auf. Marjolein Schlüter, Sprecherin der Initiative, war aufgebracht: „Ich wundere mich, dass Müll wertvoller ist als Menschen und Natur. Es macht mich wütend, dass wir als Naturschützer kriminalisiert werden.“ Mit Einbruch des Tageslichts rückten die Baumaschinen an. Erste Bäume wurden gefällt, um Wege für die Rodung zu schaffen. Der Großeinsatz im Osterholz dauerte mehrere Tage.
Februar: „Eine Friedenskundgebung gegen die Eskalation und den drohenden Krieg in der Ukraine“: Unter diesem Titel hatten mehrere Parteien und Verbände am Mittwoch zu einer gemeinsamen Demonstration aufgerufen. Sie sollte am nächsten Tag stattfinden. Am Donnerstag, 24. Februar, stellte sich die Situation neu dar. Die befürchtete Eskalation war bereits eingetreten, in den Nachrichten wurde über russische Angriffe auf die Ukraine berichtet. Bei der Friedenskundgebung trat auch eine Ukrainerin auf die Bühne, die in Wuppertal lebt. „Ich weiß, dass sich das für alle so anfühlt, als sei das weit weg. Aber das ist es nicht“, sagte sie. „Es ist schlimm, schlimmer als man denkt. Bitte helft uns da, wo ihr könnt.“ In Wuppertal folgte eine Welle der Solidarität mit der Ukraine. Wenige Tage nach Kriegsbeginn kamen die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine nach Wuppertal, im Laufe der Wochen wurden es mehr. Für sie wurden Sporthallen als Notunterkunft hergerichtet – wobei die Stadt das Ziel ausgab, dass möglichst viele Ukrainer schnell eine eigene Wohnung finden. Auch ein Kinderheim aus Kiew kam nach Wuppertal. Die Kinder, Jugendlichen und Mitarbeiter leben seitdem in der Jugendherberge. Viele Wuppertaler Organisationen sammelten Geld- und Sachspenden, die teilweise den Geflüchteten in der Stadt zugute kamen, teilweise in das Kriegsgebiet gebracht wurden. Die Hilfsbereitschaft hält auch am Jahresende an.
März: In Wuppertal gibt es wieder ein Sternerestaurant: Das Shiraz an der Wittener Straße wurde mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Am Mittwoch, 9. März, wurden die deutschen Sterne für 2022 in Hamburg bekannt gegeben. Insgesamt sind es 327 Restaurants. „Man muss ein bisschen Acht geben, dass man an dem kleinen, mit Schiefer verkleideten Gasthaus nicht vorbeifährt“, steht im Michelin-Guide über das Shiraz, es gebe ambitionierte klassische Küche mit modernen Einflüssen. „Geschmackvoll hat man dem rustikalen Rahmen des Hauses eine elegante Note verliehen, dazu der schöne Blick über das ‚Wuppertal‘ – auch von der Terrasse.“ Koch Alexander Hoppe verriet der WZ, dass auch er Ketchup, Mayonnaise und Senf im Kühlschrank hat. „Fertiggerichte kommen mir aber nicht ins Haus.“ Er möge gern Joghurt, den er mit Früchten verfeinert, und Salat, der schnell zubereitet ist.
April: Stadtverwaltung, Universität und Jobcenter ziehen ab 2025 in die ehemalige Bundesbahndirektion. Am 7. April haben Bauherr Alexander Clees und Mirja Montag, Leiterin des Gebäudemanagements, den 400 Seiten starken Mietvertrag unterschrieben. Das historische Gebäude am Döppersberg wird für mindestens 30 Jahre zum dritten Rathaus. Die Clees-Gruppe investiert nach eigenen Angaben bis zu 90 Millionen Euro, um es „in die Moderne zu überführen“. Zuvor wurde fast ein Jahr hinter verschlossenen Türen über den Vertrag verhandelt. „Wir haben hart und intensiv verhandelt, aber stets fair und partnerschaftlich“, fasste Alexander Clees die Gespräche zusammen. Oberbürgermeister Uwe Schneidewind bezeichnete das Projekt als Meilenstein für die Stadt. Er rechne mit einem „riesigen Sprung bei der Servicequalität für Wuppertals Bürgerinnen und Bürger“.
Mai: Kommt die Bundesgartenschau im Jahr 2031 nach Wuppertal? Die Bürgerinitiative „Buga – so nicht“ wollte das verhindern und sammelte genug Unterschriften für einen Bürgerentscheid. Somit konnten alle Wahlberechtigten bis zum 29. Mai per Briefwahl ihre Stimme für oder gegen das Großprojekt abgeben. Nachdem die Stimmzettel am Sonntag ab 18 Uhr in der Unihalle ausgezählt wurden, stand das Ergebnis fest. Mit einer knappen Mehrheit von 51,8 zu 48,2 Prozent haben sich die Wuppertaler für die Bewerbung ihrer Stadt zur Buga ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag bei 35,5 Prozent. Stefan Härder von der Initiative nahm die Niederlage gefasst hin: „Bessere Argumente haben die Befürworter sicher nicht gehabt. Sie hatten aber ein anderes Netzwerk, andere finanzielle Möglichkeiten.“ Die Befürworter feierten am Wahlabend eine Party im Elba-Zukunftswerk. „Ich bin ziemlich bewegt“, sagte Holger Bramsiepe, Vorsitzender des Buga-Fördervereins, zu dem Ergebnis. „Das ist der erste Bürgerentscheid, der für etwas ausgegangen ist. Das war ein parteiübergreifendes bürgerschaftliches Engagement“, sagte Pascal Biesenbach. Im August kam eine Buga-Delegation nach Wuppertal und besichtigte die Kernareale. Die Machbarkeitsstudie sieht drei Stück mit mindestens 40 000 Quadratmetern vor: Tesche, Grüner Zoo und Wupperpforte mit Königs- und Kaiserhöhe. „Die Buga in Wuppertal wird keine Blümchenschau“, kündigte Oberbürgermeister Uwe Schneidewind an.
Juni: Im Sommer kamen Architekturstudenten und Universitätsmitarbeiter aus vielen Ländern nach Wuppertal: unter anderem aus Frankreich, Spanien, Ungarn, Rumänien, Schweden und den Niederlanden. Sie traten beim Wettbewerb „Solar Decathlon Europe“ gegeneinander an, wollten neben der Nordbahntrasse das innovativste und nachhaltigste Haus errichten. Innerhalb weniger Tage bauten die Teilnehmer die Häuser in Modulbauweise auf. Das Programm für die Öffentlichkeit begann am 10. Juni, alle Häuser auf dem Festivalgelände in der Mirke konnten besichtigt werden. Am 24. Juni wurde dann das Gewinner-Team verkündet, das in den zehn Disziplinen insgesamt die meisten Punkte gesammelt hat: „RoofKit“ aus Karlsruhe. „Eure Arbeiten sind extrem relevant für die weitere Forschung“, sagte Projektdirektor Daniel Lorberg von der Bergischen Universität Wuppertal.
Juli: Der Krieg gegen die Ukraine führte dazu, dass die Preise stiegen. Vor allem Energie wurde teurer, aber auch Lebensmittel, in NRW lag die Inflation zeitweise bei mehr als zehn Prozent. Im Sommer brachte die Bundesregierung Hilfspakete auf den Weg, unter anderem einen Tankrabatt. Am letzten Tag wollten viele Wuppertaler ihn ein letztes Mal nutzen, vor den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen. Und tatsächlich wurden die Preise über Nacht wieder deutlich erhöht: von 1,81 bis 1,84 Euro für einen Liter Super-Benzin am Abend auf 1,99 bis 2,04 Euro am nächsten Morgen. Eine weitere Entlastung sollte drei Monate lang das 9-Euro-Ticket sein, das bundesweit im Nahverkehr galt. Die Wuppertaler Stadtwerke verkauften mehr als 223 000 9-Euro-Tickets, hinzu kamen knapp 172 000 bestehende Abonnements, deren Preis automatisch reduziert wurde. „Durch das besonders günstige und deutschlandweit gültige Ticket sind die Fahrgastzahlen während der drei Monate in Wuppertal spürbar gestiegen, das machte sich vor allem bei der Schwebebahn bemerkbar“, so die WSW. Dort zählten sie 20 Prozent mehr Fahrgäste als vor Beginn des Angebots. „Eine signifikante Veränderung im Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger war im Aktionszeitraum in Wuppertal – wie auch bundesweit – allerdings nicht zu spüren.“ Nur wenige Fahrgäste hätten vom Auto zu Bus, Bahn und Schwebebahn gewechselt. Viele hätten das 9-Euro-Ticket für Fahrten in der Freizeit wie Ausflüge genutzt.
Die Inflation machte sich auch bei der Tafel bemerkbar. Die Schlangen für die Ausgabe von Lebensmitteln und Mittagessen wurden im Sommer immer länger. Während andere Tafeln einen Aufnahmestopp verhängten, entschied der Wuppertaler Verein, die Frequenz zu verringern. Die Bezugsberechtigten können sich noch alle 14 Tage mit Lebensmitteln versorgen. Am Jahresende nannte der Vorsitzende Peter Vorsteher Zahlen: Von Januar bis November hat sich die Nachfrage verdreifacht (Mittagessen: von 2127 auf 6004 Portionen). Gleichzeitig erhält die Tafel weniger Lebensmittel von Supermärkten und Kantinen. Im Vergleich zur Zeit kurz vor der Pandemie hat sich die Menge halbiert (von rund 150 auf 70 Tonnen).
August: Die Elberfelder Innenstadt wird neu gestaltet. Bevor die Optik über der Erde modernisiert wird, sanieren die Stadtwerke die Fernwärmeleitungen unterhalb. Bei diesen Arbeiten wurden Reste der früheren Elberfelder Burg entdeckt. Im August erklärte Dezernent Arno Minas, dass dies zu einigen Monaten Verzögerung bei den Arbeiten führe. Nicht nur das Bodendenkmal selbst stehe unter Denkmalschutz, sondern auch alle anderen Bodenfunde. „Bauzeitverzögerungen führen zu Baukostenerhöhungen“, so Arno Minas. Später im Jahr erklärte Archäologin Anke Kreidelmeyer, was die Baustellen-Funde über die Geschichte der Stadt verraten. Eine Scherbe zeigte beispielsweise, dass es die Elberfelder Burg deutlich länger gibt als bisher angenommen. „Jetzt wissen wir anhand dieses Befundes, dass ein Teil der Mauer schon 1101 bis 1300 errichtet wurde.“ Die Mauer, in der die Scherbe gefunden wurde, umschloss die (Alte) Freiheit.
September: Im September diskutierte die Vohwinkeler Politik über ihr Schlüsselprojekt. Oberbürgermeister Uwe Schneidewind hatte in allen Stadtteilen darum gebeten, ein Projekt zu benennen, das die Verwaltung mit Priorität bearbeiten soll. In Vohwinkel einigte man sich auf Projekte für mehr Barrierefreiheit, unter anderem im historischen Rathaus, in dem heute auch ein Bürgerbüro ist. „Wir hoffen, dass durch die Ernennung der Anliegen als Schlüsselprojekte größere Realisierungschancen möglich sind“, sagte der Vohwinkeler Bezirksbürgermeister Georg Brodmann. In anderen Stadtteilen einigten die Politiker sich schon vorher auf die Projekte, die ihnen am wichtigsten sind. In Barmen geht es dabei um den Vorplatz des Schwebebahnhofs Alter Markt. Dort soll ein Park entstehen. In Oberbarmen ist der Wunsch ein Radweg-Überflieger, in Heckinghausen die Neugestaltung der Heckinghauser Straße. In Langerfeld-Beyenburg soll das Verwaltungshaus neugestaltet werden. Die Elberfelder Politiker haben gleich drei Projekte benannt: die Sanierung der Zentralbibliothek, das Parkhaus am Kasinogarten mit Quartiersparkplätzen und die Neugestaltung des Platzes am Kolk. Elberfeld-West legt den Fokus auf die Jakobstreppe, Uellendahl-Katernberg auf das Freibad am Eckbusch.
Oktober: Nach fast 24 Jahren im Amt ging Stadtdirektor und Kämmerer Johannes Slawig im Oktober in den Ruhestand. Eigentlich wollte er seine Amtszeit verlängern, das wurde aber nicht genehmigt. Seine letzte Ratssitzung war ausgerechnet eine Sondersitzung zur Neuordnung des Verwaltungsvorstands. Die Politik will die Geschäftsbereiche neu zuschneiden – unter anderem, um die Zuständigkeit für Personal und Kämmerei voneinander zu trennen. „Johannes Slawigs Einsatz für die Stadt war etwas ganz Besonderes“, sagte Oberbürgermeister Uwe Schneidewind zum Abschied. „Nicht nur als Krisenstabsleiter, sondern auch bei allen bedeutenden Stadtentwicklungsprojekten hat er sich in den Dienst der Sache gestellt und die Stadt vorangebracht.“ Johannes Slawig selbst sagte: „Die Vermittlung zwischen Verwaltung und Politik mit ihrer jeweils ganz eigenen Logik hat mir große Freude gemacht. Ich werde mich weiterhin für das interessieren, was sie machen, aber mich nicht einmischen.“
November: Ein Lastwagen-Fahrer ist am Mittwoch, 2. November, gegen sechs Uhr morgens tödlich auf der A46 verunglückt. Mit seinem Sattelzug fuhr er in der Baustelle zwischen Haan-Ost und dem Sonnborner Kreuz zuerst in eine Schutzmauer und rammte dann einen Pfeiler der Brücke Ehrenhainstraße. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der 51-jährige Fahrer aus Gevelsberg in seinem Führerhaus eingeklemmt. Er verstarb noch am Unfallort. Die A46 war über mehrere Stunden gesperrt, wurde erst abends wieder vollständig freigegeben. In Wuppertal kam es zu massiven Beeinträchtigungen des Verkehrs, er staute sich entlang der Talachse. Die Stadtwerke leiteten Buslinien um, die normalerweise die Brücke Ehrenhainstraße befahren. Ein Statiker musste zunächst prüfen, ob sie durch den Aufprall beschädigt wurde. Am Donnerstag teilte die Polizei dann weitere Informationen zum Unfallhergang mit. Der Fahrer sei im Baustellenbereich auf der rechten Spur in Richtung Brilon unterwegs gewesen. Er sei zunächst nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und auf eine aufsteigende Fahrbahnbegrenzung aus Beton aufgefahren. Diese habe wie eine „Rampe“ gewirkt und dafür gesorgt, dass der 40-Tonner sich aufschaukelte. Anschließend driftete der Lkw nach links ab und geriet auf die links aufgestellte Betonschutzwand. Der Sattelzug sei laut Polizei zu diesem Zeitpunkt für den Fahrer unlenkbar geworden. Er rutschte ungebremst über die Fahrbahnbegrenzung, bis er schließlich mit dem Brückenpfeiler zusammenstieß.
Dezember: Die Fußball-WM in Katar war umstritten – auch in Wuppertal. Einige Gastronomen entschieden sich für einen Boykott, zeigten die Spiele nicht, zum Beispiel das „Beatz & Kekse“. Das Brauhaus in Barmen übertrug die Spiele auf einer Großbildleinwand: „In unserer Welt passieren momentan so viele negative Dinge, wenn wir jetzt auch noch die WM boykottieren, haben wir ja gar nichts mehr, worüber wir uns freuen können“, sagte Ralf Derkum. Die deutsche Mannschaft hatte letztlich nicht viele Spiele. Am 1. Dezember schied sie trotz eines 4:2-Sieges gegen Costa Rica schon in der Gruppenphase aus, nachdem sie gegen Japan verloren und gegen Spanien Unentschieden gespielt hatte. In Wuppertal leben aber auch Fußball-Fans, deren Mannschaft es weiter schaffte. Als Marokko gegen Portugal gewann und als erstes afrikanisches Land ins Halbfinale einzog, feierten rund 1000 Fans mit einem Autokorso auf der B7, die zeitweise gesperrt werden musste, berichtete die Polizei.