Sound of the City Fight Society wandert in die surreale Welt des Semi Eschmamp

Wuppertal · Der Züricher Künstler Semi Eschmamp steigt für Sound in the City in den Ring. Das Erlebnis ist ein gelungener surrealer Abend.

Semi Eschmamp betritt den Kampfring der Fight Society nur verbal.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Die Fight Society Wuppertal in Elberfeld gehört nicht gerade zu den ersten Adressen der Hochkultur. Hier wird Kampfsport wie Boxen, Mixed Martial Arts (MMA), Close Combat, Brazilian Jiu Jitsu (BJJ), Muay Thai (Thai-Boxen) und Kickboxen trainiert. Hier gibt es einen Kampfkäfig und martialische Geräte. Die richtige Location also für ein Format, das seit 2016 bewusst die Welt der Oper an Orte in der Stadt bringt, die normalerweise nichts mit ihr zu tun haben. Und das in diesem Jahr das Thema „Wuppertal kämpft“ hat. Gleich zweimal und zu später Stunde fand hier am Wochenende eine performative Lesung statt.

Semi Eschmamp trägt an diesem Abend einen Blaumann und Turnschuhe, was weder auf Kampf, noch auf Sport, noch auf Kunst, wohl aber auf Arbeit schließen lässt. Der gebürtige Züricher lebt heute in Berlin, arbeitet als Schauspieler im Theater-, Film- und Synchronbereich und ist Zeichner und Büchermacher. Er widmet sich der Tradition des Cartoons, speziell der von Daniil Charms. Der russische Autor und Zeichner lebte von 1905 bis 1942, konnte zu Lebzeiten kaum publizieren, wurde für unzurechnungsfähig erklärt und verhungerte in einer Gefängnispsychiatrie im von den Deutschen belagerten Leningrad. Wie Charms liebt Eschmamp die absurde Prosa, die sich auf wenige Worte beschränkt, und erstellt bewusst gekritzelte Zeichnungen, die in die Wirklichkeit hineinwachsen oder diese ersetzen – das alles aber mit heiterem, nicht morbidem Unterton. Denn: „Ich denke gerne in die andere Richtung.“ Und das auf feine, knappe und sehr selbstironische Art, die zum herzlichen Lachen verführt und und zugleich nachdenklich werden lässt.

„Ich denke gerne in die andere Richtung“

Bei seiner Recherche in der Stadt hat das Kuratorenteam Julia Lwowski, Yassu Yabara und Maria Buzhor die Fight Society entdeckt, nutzen sie nun für zwei Programmpunkte im Festival (siehe Kasten). „Im Ring schließt sich der Kreis“ heißt das Programm von Semi Echmamp. Ein verbales Schattenboxen mit seinem Alter Ego, dem „Kampfkünstler Boris Blatschko, der auch als Gedichte schreibender Nachbar in seinem zweiten Buch „Mein Vorbar ist auch mein Nachbar“ mitwirkt. Mit dem er seit vielen Jahren „das Büro für erklärende Verwirrungen, beziehungsweise den Salon für ausufernde Schlussfolgerungen“ teilt. Ergebnisse dieser intensiven Arbeit in einer skurrilen Welt haben Eschmamp/Blaschko filmisch festgehalten und ins Netz gestellt (borisblaschko.com) In Eschmamps Kampfschul-Führung taucht Blaschko nun als Stimme auf dem Tonband auf, das in diesem Falle als überdimensioniertes Telefon genutzt wird. Fernmündlich stellt er Eschmamp die Aufgabe, in den Ring zu steigen, damit sich sein Kreis schließe. Was diesen nach kurzem Nachdenken zu dem Entschluss bringt, dass er das gern tun will – in der Surrealität. Den achteckigen Kampfkäfig (“das Herz der Fight Society) stellt er zwar vor, hängt auch ein Sportschuh-Paar hinein, betritt ihn aber nicht. Stattdessen verbindet er mal eben Kampf und Tanz in einem Wortspiel und nimmt den surrealen Kampf auf: „Ich tanze um die Wahrheit herum so wie der Boxer um seinen Gegner. Ist also die Wahrheit mein Gegner und Wahrheit Lüge?“ Wer weiß.

Auftakt zu einem kurzweiligen mixed media/martial art-Vortrag, der Kraftsportgeräte zu Skulpturen erklärt, Zeichnungen zu Fotos, über Querstangen gefaltete und angemalte Styroporbretter zu Handtüchern. Eschmamp erzählt, wie er seinem Vater seine Arbeit als Zeichner von Dingen, die es nicht gibt, erklärte, und wie er heimlich zwei Gewichtscheiben in der Fight Society durch Schokoladenscheiben ersetzte. Und er spricht mit Blaschko über das Thema Kampf, der einen Gegner brauche, weil er sonst keiner sei, streitet sich mit ihm und Bruce Lee um die passende Einlassmusik und zeigt den Besuchern der Fightschule Zeichnungen, die seinen Kampf mit sich selbst „dokumentieren“ (“weil man ja während des Kampfes nicht fotografieren darf“), samt Anreise. Lässt den Ring in einzelne Striche zerfallen, die er zu verschiedenen, krakeligen Kombinationen wieder zusammenfügt. Sich selbst zeichnet er mit einem roten Boxhandschuh als Kopf und zwei Köpfen als Händen, oder lässt seine Arme den Boxring umspannen.

„Nonsense doesn‘t obey gravity“, sagen Eschmamp/Blaschko. Wie wahr.