Interdisziplinäres Projekt mit der Kantorei Barmen Gemarke Bachs Matthäus Passion als atemberaubende Aufführung

Wuppertal · Die Matthäus Passion als besonderes Gesamtkunstwerk - das konnten Besucher in Wuppertal erleben. Anlass waren zwei Jubiläen.

Tanzende und Gesangssolisten  agierten zeitweise gemeinsam auf der Bühne.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Der klangschöne Chor der Kantorei Barmen-Gemarke, das Barockorchester „L’arte del mondo“, hervorragende Gesangssolisten und die Kamea Dance Company präsentierten einen internationalen Tanzabend mit der Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach und damit ein atemberaubendes Gesamtkunstwerk. Die historische Stadthalle war mit Zuschauern gut gefüllt, als am Sonntag dort die „Matthäus Passion 2727“ präsentiert wurde, eine getanzte Darstellung von Bachs Passionsmusik. Zwei wichtige Jubiläen waren der Anlass, das 2017 bereits einmal in Wuppertal aufgeführte erfolgreiche Projekt wiederaufzunehmen: Die Kantorei Barmen-Gemarke feiert ihr 75-jähriges Bestehen und die Städtepartnerschaft zwischen Wuppertal und Beer Sheva besteht seit 45 Jahren. 1977 war sie die erste Partnerschaft zwischen zwei Großstädten in Israel und Deutschland. In seiner Begrüßung betonte Arno Gerlach, der Vorsitzende der Kantorei Barmen-Gemarke und des Freundeskreises Wuppertal-Beer Sheva, den Stellenwert der interreligiösen und interkulturellen Zusammenarbeit für Völkerverständigung und Frieden. Dazu leisteten die Kantorei und die israelische Kamea Dance Company einen großen Beitrag. Der Choreograph Tamir Ginz entwickelte mit den 14 Tänzern und Tänzerinnen seiner Company aus Beer Sheva eine fesselnde Choreografie. Sie zeigt die christliche Botschaft der Leidensgeschichte von Jesus aus einer anderen Sicht und in einer neuen Herangehensweise. Ganz anders als der Amerikaner John Neumeier, der 1981 die Matthäus Passion als Ballett umsetzte, erzählt Tamir Ginz die Passionsgeschichte ohne sie bloß nachzuerzählen. Er schafft eindrückliche Bilder und Strukturen. Hoffnung und Verrat, Neid und Angst, Trauer, aber auch Stärke und Zuversicht werden in Tanz und Musik spürbar. Auf Szenen des Fallens folgt das gegenseitige Aufrichten, immer wieder geht es um Helfen und Zusammenstehen. Der Titel „Matthäus Passion 2727“ soll den Blick in die Zukunft zeigen: Wie könnte Bachs Werk 1000 Jahre nach der Uraufführung aussehen? Er wäre für dieses Stück nicht nötig, denn das was man hört und sieht ist zeit- und grenzenlos. Bachs etwa zweieinhalb Stunden dauerndes Werk, das heute meist als Konzertmusik aufgeführt wird, seinen ursprünglichen Platz aber im Gottesdienst hat, wurde für das Tanzprojekt in Wuppertal auf gut eineinhalb Stunden gekürzt und die Reihenfolge teilweise neu geordnet. Besonders dicht wirken Phasen, in denen die Musik innehält und die Company weitertanzt. Das Publikum verfolgt die eindrucksvollen Szenen und expressiven Bewegungen mit atemloser Stille. Zu Beginn bewegen sich die Tänzer in den Seitengängen, während die Kantorei Barmen- Gemarke mit dem Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ die Musik eröffnet. Später beginnt der eindrucksvolle Tanz auf dem weißen Bühnenboden. Die Gesangssolisten, in die gleichen schwarzen Anzüge gekleidet wie die Tänzer, sind in die Choreographie integriert und fügen sich hervorragend ein. Daniel Tilch überzeugt als Evangelist mit hellem Tenor, perfekter Dramatik und absoluter Textverständlichkeit. Auch Gregor Finke (Bass), Stephanie Elliot(Sopran) und Andra Prins (Alt) beherrschen ihre Partien. Die Choristen unter der Leitung von Alexander Lüken, der selbst mitsingt, gestalten Eingangs- und Schlusschor, Choräle und hochemotionale Einwürfe sehr beweglich, präzise und ausdrucksstark. Das Orchester L’arte del mondo sorgt auf historischen Instrumenten für die angemessene Begleitung. Sehr gut gelingt die räumliche Umsetzung des Stücks, das eigentlich für die Opernbühne konzipiert ist, in der Stadthalle. Eine beeindruckende Rolle spielt das stets hervorragend abgestimmte Licht. Jesus wird von grellen weißen Lichtstrahlen gekreuzigt, bei den Chorälen wird die große Orgel im Hintergrund beleuchtet und richtet den Blick auch auf Johann Sebastian Bach und seine Kunst, das menschliche Leiden und Sterben in wunderbare Musik zu übersetzen.