Pädagogik Konzept „Traumviertel“ soll Kinder entlasten und stärken
Utopiastadt · Bildungs- und Bindungsarbeit sind die Hauptthemen der Alten Feuerwache.
Henne oder Ei? Was zuerst kam, diese alte Frage, kann und muss man manchmal ja nicht klären. In der Pädagogik scheint zuweilen müßig, ob „Problemkinder“ ein Problem für die Gesellschaft sind – oder eher die Gesellschaft selbst sie dazu macht. Das ist eine der Einsichten am Kulturkindergarten an der Nordbahntrasse, wo (nicht nur) ein vom Unternehmen Knipex ermöglichtes Projekt bei einem Rundgang vorgestellt wurde.
Die „Alte Feuerwache“ an der Gathe ist hier Dreh- und Angelpunkt für soziale Integration: Anwohner von Nordstadt und Ostersbaum finden dort viel für junge Menschen – von der Familienhebamme bis zum Angebot für Zwanzigjährige. Mit von der Partie: Dörte Bald und Björn Krüger, die mit Kindern im Kulturkindergarten Musik und Theater machen.
Die Verbindung zu Knipex: Mit Geld plus Mitstreitern vom Cronenberger Werkzeugunternehmen gingen die zwei Kulturpädagogen (selbst auch beliebt als Bühnenkünstler) ans Konzept „Traumviertel“.
Jana Ihle, pädagogische Leiterin der Feuerwache verweist da neben positiver Träumerei durchaus auf „Albträume“, von denen hier aufwachsende Kinder nicht frei seien: Schon die Alltagsbewältigung mache es die Gegend vielen schwer – Folge demnach häufig: Schwere Stresserfahrung bei Kindern bis hin zur Depression, verschärft durch Corona und Lockdown.
Mochte dies auch etwas förmlich klingen, kam schon Ihles Einstieg vielmehr bildlich und konkret daher, nämlich mit besagtem Henne-Ei-Vergleich: Statt nur nach Ursache und Wirkung zu fragen, gehe man Stress und Isolation hier praktisch an. Wie greif- und hörbar das werden kann, dafür mochten hier tatsächlich Hühner stehen. Denn zum Konzept gehört auch der Umgang mit Tieren. Joachim Heiß, Leiter der Alten Feuerwache, betonte das doppelte Anliegen: „Bildungs- und Bindungsarbeit.“ Da könne schon einmal ein Junge „mit der Faust“ handgreiflich werden – um dann etwa bei den geflügelten „Bewohnern“ des Geländes ganz andere Seiten zu entfalten. Fasziniert verfolgten die Kinder demnach neulich ein besonderes Ereignis der komplett unaggressiven Art: Ein Huhn legte ein Ei.
Briefkasten für die Äußerung
von Wünschen für das Viertel
Immer wieder tauchte beim Rundgang, an dem neben Knipex-Chef Rolf Putsch auch Oberbürgermeister Uwe Schneidewind teilnahm, ein Aspekt auf: die Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen, die ihnen helfe, sich als wichtig und fähig wahrzunehmen. So steht am Kindergarten ein Briefkasten, in den sie Wünsche fürs Viertel einwerfen können. Auf den Zetteln, vom OB gespannt aus dem Kasten gezogen, fanden sich: eine Röhrenrutsche, „mehr Fahrräder“ oder auch „ein Krokodil“. Nicht alles davon mochte mit Erfüllung rechnen, dafür gab es gleich zwei Kostproben für Kinder, sich als stimmstark zu erleben: Zuerst schmetterte „die blaue Gruppe“ vom Kulturkindergarten mit Gitarrist Krüger vereint: „Wir sind ganz viele, und wir sind bunt.“ Einen regelrechten Auftritt im Duo mit Krüger bot dann Jolina, und zwar von hoher Warte: Das Kita-Mädchen saß oben auf dem neuen Spielcontainer vor dem Mirker Bahnhof und sang „Heut‘ ist mein Glückstag“ – wie ein alter Bühnen-Hase.
Hier ließ sich denn auch Rolf Putsch von Knipex zum Grund seines Engagements befragen, zu dem neben dem „Traumviertel“-Projekt der Container zählt. Er beschrieb seine Motive: „Man sieht einerseits den Bedarf und hat andererseits gewisse Möglichkeiten.“ Prägnant daneben aber eine Grundhaltung, für die Putsch die Worte fand: „Man sieht: Wir leben in einer Welt. Dann ergibt es sich ganz natürlich.“
Nach einigem Weg gab es in der Feuerwache selbst dann noch Eindrücke vom Theaterprojekt „Die Traumfirma“, ein Stück, das eine junge Teilnehmerin selbst geschrieben hatte: In einem Kurzfilm waren Ausschnitte daraus zu sehen, und Autorin Melsa Cesen selbst sprach von schönen Erfahrungen für sie: „Das war das erste Mal, dass eine größere Menge etwas von mir sieht.“ Gleichfalls ein großes Beispiel für die „Selbstwirksamkeit“, und ein etwas älterer Akteur schien in eine ganz ähnliche Kerbe zu schlagen: OB Uwe Schneidewind benannte nicht nur zwei seiner Tätigkeitsfelder als wichtig für Kinder: „Quartiersentwicklung“ und „Diskriminierungsfreies Wuppertal“. Besonders wichtig war ihm daneben vielmehr: „Der Blick auf den Einzelnen als Kompass.“ Ein Beispiel für den individuellen Fokus, möchte man sagen, hatte wohl gerade die Leinwand neben ihm gezeigt.
Kinder als positive
treibende Kraft in der Familie
Nicht müßig wie die Huhn-Ei-Frage war beim Schlussgespräch dann eine andere Art von Wechselwirkung – aber eine, über deren Richtung man uneins sein konnte. Ähnlich wie zuvor schon der OB betonte Unternehmer Putsch die generellen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bürger, die doch für die Entwicklung ihrer Kinder entscheidenden Einfluss hätten. Vernünftige Bezahlung gehöre ebenso dazu wie „Durchlässigkeit“, was nicht zuletzt faire Aufstiegschancen im Betrieb meinte.
Auch wenn Ihle dem zustimmte, setzte sie freundlich die umgekehrte Richtung als Chance dagegen: Einmal begleitet durch stark machende Pädagogik könnten Kinder gerade treibende Kraft sein und positiv in ihre sonst vielleicht schwer erreichbare Familie wirken.