Flüchtlingskinder 10 000 Schüler zusätzlich im System

Wie viele Flüchtlingskinder in NRW genau schulpflichtig sind, kann derzeit niemand sagen. Das Ministerium verspricht, nachzusteuern.

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Düsseldorf. Seit gut einem Jahr lebt Abdul Baki A. (Nachname der Redaktion bekannt) mit seinen Eltern und seinen drei jüngeren Geschwistern in Grevenbroich. Ihre Heimat Afghanistan musste die Familie verlassen. Zu gefährlich ist die Situation in dem Bürgerkriegsland für all jene, die die Bundeswehr bei deren 13 Jahre dauernden Auslandseinsatz am Hindukusch unterstützt hatten — Ende Dezember wurden die deutschen Soldaten bis auf ein 850 Mann starkes Ausbildungskontingent nach Hause geholt. Abdul Bakis Eltern sind aus Angst vor der Rache der Taliban nach Deutschland geflüchtet — und dürfen zunächst für fünf Jahre befristet im Land bleiben.

Abdul Baki ist schulpflichtig, seit er in Deutschland lebt, so will es das Gesetz. Nichts würde der Junge lieber tun, als die Schule zu besuchen und Deutsch zu lernen. Allein es gibt keinen Platz mehr für ihn an einer weiterführenden Schule, nachdem er die Grundschule verlassen hat — für die er mit 13 Jahren ohnehin viel zu alt ist. So wie Abdul Baki ergeht es einem weiteren Dutzend Flüchtlingskindern, die zwar dauerhaft in Grevenbroich leben, aber keinen Platz an einer Schule bekommen. Nach den Herbstferien könnte sich das ändern, dann soll für die Kinder eine sogenannte „Seiteneinstiger“-Klasse an einer Gesamtschule eingerichtet werden.

Ähnliche Probleme gibt es auch in anderen Städten in Nordrhein-Westfalen. In der Landeshauptstadt Düsseldorf besuchen rund 1400 Kinder die Erstförderung. In der Zahl enthalten sind aber auch Kinder von Familien, die beispielsweise aus England oder Italien nach Deutschland ziehen und ihre Kinder an Düsseldorfer Schulen anmelden, damit sie dort Deutsch lernen; die Flüchtlinge machen aber die große Mehrheit aus. Mit der Suche nach einem Platz, nötiger Beratung und Zuweisung können einige Wochen vergehen, bis ein Kind nach seiner Ankunft in Deutschland auch wirklich eine Schule besucht. Zahlen dazu gibt es in Düsseldorf nicht.

Die hat das NRW-Schulministerium nach eigenen Aussagen auch nicht. „Da ist sehr viel Bewegung drin“, sagt ein Ministeriumssprecher. „Die Zahlen werden nicht täglich abgefragt.“ Nachgezählt wird dennoch: „Wir haben derzeit rund 10 000 Schüler mehr im System als erwartet“, sagt der Sprecher. Das System sind die Schuldaten, die einmal im Jahr, Stichtag ist jeweils der 15. Oktober, erhoben werden. Gut 2,5 Millionen Schulkinder gibt es an Rhein und Ruhr.

Wie viele Flüchtlingskinder noch nach NRW kommen werden, ist völlig offen. Die Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geht von 170 000 Menschen aus, die mindestens bis zum Jahresende kommen werden. Unklar ist die Anzahl der schulpflichtigen Kinder darunter. Bei der traditionellen Pressekonferenz zum Schulbeginn wünschte NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) sich, Hellseherin zu sein, versprach aber „nachzusteuern“, wenn es nötig sein sollte. „Wir planen nicht ins Blaue.“

Schon vor den Ferien hat NRW 670 Lehrerstellen im Nachtragshaushalt genehmigt. Zusätzlich gibt es 300 Stellen zur besonderen sprachlichen Förderung. In diesen Vorbereitungsklassen werden die Kinder fit gemacht, um schnell in den Regelunterricht integriert werden zu können. Das Gleiche geschieht in Auffangklassen, die auch mitten im Schuljahr gebildet werden können — wie im Fall von Abdul Baki in Grevenbroich.

Wobei die Situation an NRW-Schulen vergleichsweise gut ist. Seit 2009 müssen angehende Lehrer das Model „Deutsch als Zweitsprache“ in ihrer Ausbildung verpflichtend studieren und haben entsprechende Erfahrungen mit Kindern, die kein oder nur sehr schlecht Deutsch sprechen. „Das ist etwas anderes als etwa in manchen östlichen Bundesländern auf dem Land, wo man noch nie einen Migranten gesehen hat“, sagt Marlis Tepe, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.