110 Tote bei Schiffsunglück auf Wolga
Moskau (dpa) - Beim Untergang eines technisch maroden und völlig überladenen russischen Schiffes auf der Wolga sind etwa 110 der rund 200 Menschen an Bord ums Leben gekommen.
Auch Dutzende Kinder ertranken qualvoll, als die mehr als 55 Jahre alte „Bulgaria“ bei Unwetter etwa drei Kilometer vom Ufer entfernt sank. Das Unglücksschiff in der Teilrepublik Tatarstan transportierte am Sonntag nach offiziellen Angaben illegal Passagiere.
Die Betreiber hätten keine Lizenz zur Personenbeförderung gehabt, teilte die Ermittlungsbehörde am Montag nach Angaben der Agentur Interfax mit. Auch war das Schiff mit etwa 200 Passagieren deutlich überladen. Auf ähnlichen Schiffstypen seien 120 Reisende erlaubt, hieß es. Etwa 25 Menschen hätten nicht auf der Passagierliste gestanden.
Taucher bargen aus 20 Metern Tiefe bei schlechter Sicht vom Grund des extrem breiten Stroms zahlreiche Leichen. „Nachdem Taucher das Wrack durchsucht haben, gibt es so gut wie keine Hoffnung mehr auf Überlebende“, sagte Zivilschutzminister Sergej Schoigu.
Präsident Dmitri Medwedew ordnete für diesen Dienstag Staatstrauer an. Eine Kommission unter Leitung von Verkehrsminister Igor Lewitin soll die Katastrophe untersuchen. Zudem befahl Medwedew, alle Transportmittel auf ihre Sicherheit zu prüfen. Es sei offensichtlich, dass die „Bulgaria“ nicht das einzige marode Schiff sei. Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Beileid aus. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Europäische Union kondolierten.
Mindestens 30 Kinder seien bei einer Feier im Schiffsinneren ertrunken, sagten Bergungshelfer. Ein nachfolgendes Ausflugsschiff - die „Arabella“ - zog fast 80 Menschen an Bord und brachte sie in der Stadt Kasan an Land. Viele der Überlebenden weinten vor Trauer und Wut und gaben den Schiffseigentümern die Schuld an der Tragödie.
Die Staatsanwaltschaft sprach nach ersten Erkenntnissen von schweren technischen Mängeln. Demnach soll sich die „Bulgaria“ schon beim Ablegen in dem Ort Bolgar zur rechten Seite geneigt und zu tief im Fluss gelegen haben. Zudem sei der Hauptmotor auf der linken Seite technisch mangelhaft gewesen. Überlebende berichteten, dass es kaum Rettungswesten gab.
Nach Darstellung der Ermittler sank die „Bulgaria“ auch deshalb innerhalb weniger Minuten, weil die Fensterluken geöffnet waren und Wasser ungehindert einströmte. Zum Zeitpunkt der Katastrophe etwa 80 Kilometer von der tatarischen Hauptstadt Kasan entfernt herrschte Unwetter mit starkem Wind und Regenschauern.
Das Staatsfernsehen zeigte vor Verzweiflung schreiende Menschen. Eine Vielzahl der Toten fanden die Taucher am Morgen im Inneren des Schiffswracks - in den Kajüten, im Restaurant und in der Bar. Zivilschutzminister Schoigu verlangte, das Wrack für weitere Untersuchungen zu bergen.
Die „Bulgaria“ war bei Sjukejewo gesunken. Das Schiff des Reiseanbieters „AgroRetschTur“ war um 1955 in der damaligen Tschechoslowakei gebaut worden. Es war nach Angaben russischer Medien das schwerste Schiffsunglück auf der Wolga seit 1983. Damals starben 176 Menschen, als das Passagierschiff „Alexander Suworow“ bei Uljanowsk gegen einen Brückenpfeiler knallte.
Die mehr als 3500 Kilometer lange Wolga ist der größte Strom Europas und gilt als die wichtigste Wasserstraße Russlands. Wolga-Kreuzfahrten sind auch bei Touristen im Westen beliebt.