150 Jahre Archaeopteryx-Fund: Streit um Urvogel
Solnhofen (dpa) - Es war ein einfacher Steinbrucharbeiter, der dem Plattenkalk sein Geheimnis entriss - und daraufhin für eine wissenschaftliche Sensation sorgte.
Beim Abbau von Steindruckplatten war der Mann 1861 in einem Kalksteinbruch im fränkischen Langenaltheim auf ein rätselhaftes Fossil gestoßen: den bald als Urvogel bekanntgewordenen Archaeopteryx. Der Abdruck im feinporigen Gestein zeigt das Skelett eines anscheinend bei einem Sturm ins damalige Jurameer gestürzten vogelartigen Tieres.
Am Montag (15.8.) jährt sich die Beschreibung der ersten Archaeopteryx-Feder zum 150. Mal. Schnell wurde der Fund 1861 mit dem merkwürdigen Tierskelett in Verbindung gebracht, das Federn hatte.
Was zunächst weder der Steinbrucharbeiter noch sein Chef, der Steinbruchbesitzer Johann Friedrich Ottmann, ahnten: Mit dem Archaeopteryx war quasi der Beweis für die Evolutionstheorie von Charles Darwin geliefert worden. Er galt damit als Bindeglied zwischen Reptilien und Vögel - und damit als Beweis, dass sich die Arten über Jahrmillionen weiterentwickelten.
In den vergangenen Jahren wuchsen allerdings die Zweifel an dieser „Verwandtschaftsbeziehung“ des Archaeopteryx. So war dem Frankfurter Paläoornithologen Gerald Mayr bereits 2005 aufgefallen: Dem angeblichen Urvogel fehlte ein nach hinten abgewinkelter Zeh - Voraussetzung für jeden Vogel, um Äste umgreifen zu können.
Genährt haben die Zweifel an der Ur-Vogelthese jüngste Fossilienfunde in China. Wissenschaftler sind dort nach Angaben der Zeitschrift „Nature“ auf die fossilen Überreste eines hühnergroßen gefiederten Sauriers gestoßen. Mit einem speziellen Computerprogramm, das sie mit den Merkmalen verschiedener Fossilien fütterten, stellten sie fest: Nicht nur das von ihnen entdeckte Fossil mit dem Namen „Xiaotingia zhengi holotype“, sondern auch der Archaeopteryx steht einer Gruppe von Urechsen, den sogenannten Deinonychosauriern, näher als den späteren Vögeln. Mit seinen Flügeln war der Archaeopteryx allenfalls zu kurzen Gleitflügen fähig, vermuten die Forscher.
Dem widerspricht der Leiter des Museums Solnhofen im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, Martin Röper. Er leitet nach seinen Angaben das einzige Museum in der Welt, in dem gleich zwei der weltweit zehn Archaeopteryx-Fossilien zu sehen sind. Für ihn stellt die von den Chinesen angewandte statistische Berechnung eine zu dünne Beweislage dar. Die Hypothese werde wohl keinen langen Bestand haben, vermutet der Diplom-Geologe. „Wenn ein Fund mit anderen Merkmalen dazukomme, bekomme ich schon wieder einen anderen Stammbaum“, gibt Röper zu bedenken. Für ihn gibt es daher keinen Anlass für Zweifel an der bisherigen Erkenntnislage: „Für mich ist der Archaeopteryx weiter ein Urvogel, aus denen die Vögel entstanden sind.“
Die Region Solnhofen, in der bislang alle zehn Archaeopteryx- Fossilien gefunden wurden, will derweil nach Röpers Angaben das Jubiläum ohne größere Feierlichkeiten begehen. „Der Gemeinde fehlt einfach das Geld dafür“, räumt der Museumschef ein. Außerdem habe man den 150. Jahrestag bereits begangen. Denn bereits 1860 war die versteinerte Vogelfeder im Solnhofener Plattenkalk entdeckt worden. Diese Entdeckung hatte seinerzeit den ersten Hinweis auf Urahnen der Vögel gegeben.
Dem Steinbruchbesitzer Ottmann brachte der Fund seinerzeit allerdings weder Geld noch Ruhm. Wie dessen Urururenkel Herbert Hüttinger berichtet, hatte Johann Friedrich Ottmann mit dem Fossil seinerzeit wohl Rechnungen bei dem Pappenheimer Landarzt und Hobbyfossilienforscher Carl Häberlein beglichen.
Der 11-fache Vater verkaufte den Archaeopteryx schließlich mitsamt seiner Fossiliensammlung im Jahre 1862 für 700 englische Pfund an das Londoner Naturkundemuseum. Dort ist der erste Archaeopteryx noch heute ausgestellt. Ein in Berlin ausgestelltes Exemplar ziert demnächst eine Sonderbriefmarke und eine 10-Euro-Gedenkmünze; beide sind von diesem Donnerstag (11. August) an erhältlich.