75 Jahre Wiener Neujahrskonzert
Wien (dpa) - „Prosit Neujahr“: Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker gehört zum festen Ritual in unzähligen Wohnzimmern.
Nach der Silvesternacht wird der Jahresanfang mit eingängigen Werken der Musiker-Dynastie Strauss begangen. Mittlerweile ist es ein weltumspannendes Fernsehereignis mit Millionen von Zuschauern. Doch vor allem während der Anfänge zur Zeit des Zweiten Weltkriegs gab es einige Kontroversen um die musikalische Güte und die Botschaft des Neujahrskonzerts.
„Dieses Konzert hat im Laufe der Zeit längst die Bedeutung einer Botschaft der Völkerverständigung und des Friedens bekommen“, sagt der Dirigent Mariss Jansons im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Der 72 Jahre alte Lette leitet 2016 zum dritten Mal nach 2006 und 2012 den bunten Reigen aus populären Stücken und selten aufgeführten Raritäten.
Dabei reichen die Ursprünge des Konzerts in eine dunkle Zeit zurück. Das erste Neujahrskonzert gab es 1941 unter der Leitung von Clemens Krauss - damals noch unter dem Titel „Johann Strauss-Konzert Philharmonische Akademie“. Den Nazis und ihrer Propaganda kam das Konzert sehr gelegen. Der „Großdeutsche Rundfunk“ übertrug aus Wien bis an die Front. In zeitgenössischen Zeitungen wurde die Aufführung als wohliges Entrinnen aus dem Alltag gepriesen. Man dürfe das Konzert mit seiner wunderschönen Musik jedoch nicht politisch denken, sagt Jansons.
Heute wird das Event in mehr als 90 Länder übertragen und von etwa 50 Millionen TV-Zuschauern verfolgt. Wegen der großen Nachfrage aus aller Welt werden die Karten für das Konzert im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins verlost.
Auf dem Programm stehen üblicherweise Walzer und Polkas des 19. Jahrhunderts aus dem Repertoire der österreichischen Strauss-Familie - vor allem von Johann (Vater), Johann (Sohn) sowie Josef und Eduard Strauß. Regelmäßig werden jedoch auch Werke anderer Komponisten eingestreut, zuletzt etwa des dänischen Musikers und „Strauß des Nordens“ Hans Christian Lumbye. Rund 320 verschiedene Werke wurden in all den Jahren gespielt.
Dabei war der Unterhaltungscharakter des Events auch innerhalb der Wiener Philharmoniker zunächst umstritten. Viele der an Beethoven, Brahms und Mahler gewöhnten Musiker waren anfangs gegen „diese Tanzmusik“, wie aus alten Sitzungsprotokollen des Orchesters hervorgeht.
Man könne die Musik nicht mit einer Symphonie von Mahler oder Brahms vergleichen, sagt Jansons. „Aber man muss das nicht mechanisch herunterspulen.“ Musik von Johann Strauss etwa sei nicht leicht. „Das muss man dirigieren wie ein normales Konzert, nicht als Begleitungsmusik zum Tanzen.“
Auch aus Sicht des Top-Dirigenten Zubin Mehta passt das Neujahrskonzert gut ins Portfolio der Philharmoniker. „Da ist diese eingebaute disziplinierte Schlamperei“, charakterisiert der 79-Jährige, der bereits fünf Mal das Neujahrskonzert leitete, die Auftritte der „Wiener“.
Überhaupt, die Philharmoniker und die Dirigenten: Das Ensemble hat keinen festen Maestro, sondern engagiert für die Events immer wieder wechselnde Größen des Fachs. Die Liste derer, die am 1. Januar im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins am Pult standen, ist lang und eindrucksvoll. Unter anderem waren Claudio Abbado, Daniel Barenboim, Nikolaus Harnoncourt, Herbert von Karajan, Carlos Kleiber und Riccardo Muti bereits vertreten.
„Es handelt sich um eine Verneigung vor besonderen Dirigenten, mit denen die Wiener Philharmoniker eine enge, fast familiäre Beziehung pflegen“, sagt der derzeitige Orchester-Vorstand Andreas Großbauer. „Die Ehre ist gegenseitig, sowohl für die Wiener Philharmoniker als auch für den Dirigenten.“
Aus dem Kalender der Philharmoniker, die pro Jahr mehr als 100 Konzerte spielen, ist das Neujahrskonzert nun längst nicht mehr wegzudenken. Großbauer ist sich sicher: „Das Neujahrskonzert ist mehr als ein Konzert, es ist eine Friedensbotschaft an die Zuseher, dass man miteinander einen Saal zum Klingen bringt und Millionen von Menschenherzen berühren kann.“