Adenauer blieb lieber Oberbürgermeister

Vor 100 Jahren wurde Konrad Adenauer Stadtchef in Köln — und blieb es, obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, in Berlin Reichskanzler zu werden.

Adenauer blieb lieber Oberbürgermeister
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Köln. Konrad Adenauer ist ein ehrgeiziger Mann. Als Erster Beigeordneter der Stadt Köln spekuliert er auf den Posten des Oberbürgermeisters, aber den besetzt ausgerechnet sein eigener Onkel Max Wallraf. Als ihm 1916 das Amt des Oberbürgermeisters von Aachen angeboten wird, versucht Adenauer, den lieben Onkel unter Druck zu setzen: Er wäre bereit, in Köln zu bleiben — aber dann müsste er bald mal an die Spitze aufrücken! Wallraf lässt den Neffen abblitzen: „Deinen Verzicht auf Aachen durch die Versicherung zu gewinnen, dass ich in Jahresfrist von meinem jetzigen Posten zurücktrete, ist mir nicht möglich.“

Adenauer tut daraufhin das, was praktisch alle Politiker in einer solchen Situation tun: Er beteuert, dass alles nur ein großes „Missverständnis“ gewesen sei. Ein Jahr später ergibt sich alles von selbst: Die Reichsregierung in Berlin wird umgebildet, Wallraf kann Staatssekretär werden, und Adenauer rückt auf den Kölner Chefsessel auf. Heute vor genau 100 Jahren wird er zum OB gewählt, mit 41 Jahren.

Der katholische Konservative will seine Geburtsstadt zukunftstauglich machen. Auch wenn nach dem verlorenen Weltkrieg eigentlich kein Geld da ist — er baut, das meiste auf Pump: eine neue Brücke über den Rhein, einen Flughafen, Wohnsiedlungen, eine riesige Messe, ein Fußballstadion und Deutschlands erste Autobahn. Er gründet die Universität neu, siedelt Industrien wie die Ford-Werke an und stärkt die Verbindungen nach Frankreich, Holland und Belgien.

In dieser Öffnung nach Westen ist schon seine spätere europäische Einigungspolitik erkennbar: Wenn am Rhein, wo sich „die Kulturen der westlichen Demokratien berühren“, keine dauerhafte Versöhnung gelinge, „dann droht nicht nur ein neuer Krieg, sondern dann ist Europas Stellung in der Welt verloren“, warnt er.

Dreimal ist Adenauer für das Amt des Reichskanzlers im Gespräch, aber er winkt jedesmal ab: Die Sache ist ihm zu unsicher, um seinen hoch bezahlten Job in Köln zu riskieren. Im Rheinland könne er ja auch regieren wie ein „moderner König“, ätzt Außenminister Gustav Stresemann. 1926 empfängt Adenauer den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu einem Essen im Gürzenich — und glaubt sich an diesem Tag auf dem Gipfel seiner Karriere.

Als er sieben Jahre später von den Nazis aus der Stadt gejagt wird, scheint seine Einschätzung mehr als bestätigt. Am Abend vor seiner Absetzung schließt er mit dem Schlüssel des Oberbürgermeisters die Tür des Rathauses ab — um dann für immer aus Köln wegzuziehen.

Niemand kann zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass er in ferner Zukunft in der Nachbarstadt Bonn noch eine neue Laufbahn beginnen wird. Den Kölner Rathausschlüssel aber findet man nach seinem Tod 1967 in einer kleinen, mit Samt ausgeschlagenen Schachtel in seiner Schreibtischschublade.