Ai Weiwei und die Folgen

Berlin (dpa) - Tagelang beherrschte das Thema die Feuilletonseiten und Kultursendungen: Die Verhaftung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei wuchs sich Anfang April nahezu zur Staatsaffäre aus. An diesem Freitag (3.

Juni) ist der Menschenrechtler zwei Monate verschwunden. Um den 53-Jährigen ist es stiller geworden in Deutschland - zu still? Wohl nicht.

Menschenrechtsorganisationen und Künstler erheben ihre Stimme für Ai, in Berlin und London gibt es Ausstellungen mit seinen Werken. Ai wurde inzwischen der „Wirtschaftsverbrechen“ bezichtigt, nachdem sich eine Anklage wegen Subversion angesichts der weltweiten Aufmerksamkeit für Chinas Behörden als problematisch erweist. „Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, der verschleppt wurde, ist, dass er in Vergessenheit gerät“, sagt Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste.

Der China-Experte Tilman Spengler sieht die Aufmerksamkeit für Ai allerdings mit gemischten Gefühlen. „Ich habe die Angst, dass sich das Interesse nur auf Ai Weiwei zuspitzt“, sagt er. „Dabei sollte man sich auch all der anderen erinnern, an Nobelpreisträger Liu Xiaobo etwa und die vielen anderen, die - für uns namenlos - hinter Gitter sind.“

Für Ai Weiwei berge die Prominenz auch Gefahren, sagt Spengler. „Jetzt möchten sich manche an ihm profilieren, mutig sagen, er sei ja nur ein reicher Steuerhinterzieher, vielleicht auch mit fragwürdiger Sexualmoral ausgestattet. Das ist ein trauriges Spiel, an dem sich mittlerweile Chinesen und Nicht-Chinesen beteiligen.“ Die Opposition sei vielfältiger, als in Europa gemeinhin bekannt. „Nicht jeder ist ein Opportunist, nicht jeder ist ein Held - und nicht jeder will nun gerade Ai Weiwei im Scheinwerferlicht sehen.“

Zu denen gehört wohl der Sinologe Wolfgang Kubin, der jüngst in der Zeitschrift „The European“ schrieb, Ai sei so ungeschickt gewesen, sich bei der Steuerhinterziehung erwischen zu lassen. In den 90er-Jahren habe Ai illegal in New York gelebt, sich dort als Hehler, Exhibitionist und Spanner betätigt. Wer heute Ais Freilassung fordere, müsste auch akzeptieren, wenn sich Chinesen vor der deutschen Botschaft in Peking zu Mahnwachen für deutsche Steuerhinterzieher versammeln, schrieb der Professor der Universität Bonn in der Polemik.

Dass Ai ausgerechnet am 3. April kurz nach Eröffnung der von deutschen Museen bestückten Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ in Peking spurlos verschwand, war wohl keine Glanzstunde für die deutsche Kulturpolitik. Museumschefs aus Berlin, Dresden und München hatten die Schau im Nationalmuseum lange vorbereit und mit den Behörden kooperiert - in der Hoffnung, der Gedanke der Aufklärung könne in China über eine Ausstellung befördert werden. Es wirkte wie eine Ohrfeige, dass Ai verhaftet wurde, als die deutsche Delegation gerade aus Peking abflog.

Spengler, dem damals ein Visum für Peking verweigert wurde, sieht keinen Sinn in einer vorzeitigen Schließung der Kunstschau. „Die deutsche Kulturpolitik sollte nicht weiter in eine Art von Populismus verfallen, der glaubt, man könne mit lautstarken Appellen Ai Weiwei freibekommen. Die scharfen Worte eines Ministers haben in China noch nie eine Tür geöffnet.“ Debatten rund um die Ausstellung, wie sie vor Ort die Mercator-Stiftung organisiert, sollten „bis zur Schmerzgrenze aller Beteiligten“ fortgesetzt werden.

Weniger Millionen-Vorhaben, mehr direkte Künstlerförderung - das ist für Klaus Staeck eine Lehre aus dem Pekinger Eklat. „Ich vertraue auf die subversive Kraft der Kunst.“ Wie subversiv kann aber Kunst sein im chinesischen Einparteienstaat? Sie kann, muss aber nicht, sagt Spengler. „Bei Ai Weiwei sind Kunst und Politik miteinander verbunden. Das muss ja nicht sein - und es ist auch nicht bei allen chinesischen Künstlern der Fall. Es gibt einige, die mit großem Geschick herrliche Karpfen malen können.“