Prozess um Zugunglück Aiblinger Unglücksstrecke hätte nachgerüstet werden müssen

Traunstein (dpa) - Bei dem verheerenden Zugunglück von Bad Aibling war die Bahnstrecke nach Expertenmeinung technisch nicht vorschriftsmäßig ausgestattet.

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Die 1971 elektrifizierte Bahnlinie der Deutschen Bahn (DB) in Oberbayern hätte signaltechnisch längst nachgerüstet werden müssen, sagte ein Mitarbeiter der Eisenbahnuntersuchungsstelle des Bundes im Prozess um das Zugunglück vom Februar aus. Allerdings bestehe die Einschränkung, dass die Bahn dies nur im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten tun müsse.

Der Gutachter sprach von einer seit 1984 bestehenden „weichen Nachrüstungspflicht“ der Bahn und ergänzte: „Ich kann nicht beurteilen, warum sie es nicht nachgerüstet haben.“

Auch das Regelwerk der DB für das Bedienen der Signale ist dort nach den Worten des Sachverständigen nicht eindeutig genug. „Was soll mein armer Fahrdienstleiter für Bestimmungen anwenden?“, fragte der Sachverständige am dritten Verhandlungstag vor dem Landgericht Traunstein. Dabei sei der Regelkatalog „die Bibel für den Fahrdienstleiter“. Das zuständige Personal hänge aber „irgendwie in der Luft“. Bei dem Unglück waren am 9. Februar 12 Menschen getötet worden, 89 wurden teils lebensgefährlich verletzt.

Der Gutachter bescheinigte dem Angeklagten dennoch gravierende Fehlentscheidungen am Unglückstag. So habe die vierminütige Verspätung von einem der beiden Züge dem Fahrdienstleiter am Unglücksmorgen keine Abweichung vom Fahrplan für diese Strecke erlaubt. Der Bahnmitarbeiter verlegte jedoch das Kreuzen der Züge auf der eingleisigen Strecke vom Bahnhof Kolbermoor nach Bad Aibling.

Dazu habe der 40-Jährige Signale gestellt, die er nicht hätte setzen dürfen, wie der Sachverständige erläuterte: „Das ist ein eindeutiger Verstoß, das darf er nicht.“ Der Mitarbeiter der Untersuchungsstelle, die dem Bundesverkehrsministerium unterstellt ist, sprach von gleich mehreren Fehlern des Angeklagten: „Nach jedem Schritt hätte man eindeutig feststellen müssen, da passt etwas nicht.“ Der Experte sagte aber auch: „Im Störungsfall wird von einem Fahrdienstleiter schon ganz schön was verlangt.“

Zum zweimaligen fehlerhaften Notruf des 40-Jährigen äußerte sich der Sachverständige ebenfalls. Zwar habe der Angeklagte die Regeln für das Absetzen eines Notrufes beachtet, aber die falsche Taste gedrückt: „Er hat nur leider den falschen Zugfunk genommen.“ Eine Taste leitet den Notruf an die Fahrdienstleiter der Umgebung weiter, eine andere an die Lokführer. Durch den Bedienungsfehler kam der Notruf nicht in den Unfallzügen an.

Ein weiterer Gutachter sprach am Nachmittag von enormen Verformungen der Unglückszüge durch den Frontalzusammenstoß. Dass der Unfall in einer Kurve passierte, war einerseits ein Nachteil: Die Lokführer sahen den jeweils anderen Zug erst kurz vor dem Aufprall, die Notbremsung kam zu spät. Andererseits wären die Züge auf gerader Strecke noch heftiger zusammengeprallt, so der Experte - es hätte noch mehr Tote geben können. In der Kurve glitt der eine Zug nach der Kollision jedoch teils an dem anderen vorbei. Davon profitierten die Fahrgäste in den hinteren Zugteilen.

Der Angeklagte hatte zu Prozessbeginn gestanden, zwei entgegenkommende Züge gleichzeitig auf die Strecke geschickt zu haben. Dadurch kam es zu dem folgenschweren Frontalzusammenstoß. Der Angeklagte räumte auch ein, verbotenerweise im Dienst auf seinem Smartphone gespielt zu haben.

Der 40-Jährige muss sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Höchststrafe dafür beträgt fünf Jahre. Die Große Strafkammer beim Landgericht Traunstein hat sieben Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll am 5. Dezember verkündet werden.