Alexander Gerst fliegt zur ISS: „Manchmal habe ich den Wow-Effekt“

Alexander Gerst soll ein halbes Jahr auf der Internationalen Raumstation verbringen. Vermissen wird er dort Salat und Regen.

Alexander Gerst bereitet sich seit drei Jahren auf den Flug ins All vor.

Foto: Britta Pedersen

Berlin/Köln. Geophysiker, Bordingenieur und auf der Internationalen Raumstation ISS bald wissenschaftliches „Mädchen für alles“: Der deutsche Astronaut Alexander Gerst (37) startet in wenigen Wochen gen Orbit — und wirkt im Interview durch und durch geerdet.

Herr Gerst, wie real ist für Sie, dass Sie ins Weltall fliegen?

Alexander Gerst: Manchmal wache ich morgens auf und weiß nicht, ob ich das alles nur geträumt habe. Das wird seltener, weil ich mich natürlich in vielen Lebensbereichen darauf eingestellt habe. Aber manchmal hab ich schon noch den Wow-Effekt, vor allem wenn ich durch das Sternenstädtchen (Ausbildungsort nahe Moskau; Anm. der Redaktion) laufe und die alten Trainingsräume sehe, wo auch schon Juri Gagarin trainiert hat.

Wollten Sie immer schon Astronaut werden?

Gerst: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man das nicht wollen kann. Aber mich hat von klein auf alles interessiert, nicht nur das Weltall, sondern auch die Erde, wie Stürme entstehen und Vulkane. Deshalb bin ich auch Geowissenschaftler geworden. Mein Großvater war auch einer von vielen Auslösern: Ich habe mit sechs Jahren in sein Funkgerät gesprochen und meine Stimme ist dann vom Mond zurückreflektiert. Als ich dann die Gelegenheit hatte, mich zu bewerben, hab ich gedacht, das bin ich mir schuldig. Aber ich habe mir keine großen Chancen ausgerechnet.

Wie haben Sie sich auf diese WG da oben vorbereitet?

Gerst (lacht): Ich habe im Studium 15 Jahre lang in WGs gewohnt. Und das ist kein schlechter Vergleich: Man hat Regeln, man verteilt die Arbeiten, hat auch mal ein Missverständnis oder unterschiedliche Ansichten — das muss man klären. Aber im Training wurden wir natürlich immer wieder in Extremsituationen gebracht: Wir haben zusammen Tage bei minus 30 Grad in einem russischen Wald verbracht, ohne Schlafsack und Zelt, und mussten uns durchschlagen. Danach kennt man die Macken der anderen und weiß auch, wie man selbst reagiert. Aber die größte Herausforderung war es, Russisch zu lernen.

Schlägt die Reise ins All auch eine Seite außerhalb Ihres Wissenschaftlerdaseins in Ihnen an?

Gerst: Ich bin mit religiösen Werten aufgewachsen. Aber als Wissenschaftler möchte ich Dinge wertneutral von außen anschauen. Als Wissenschaftler weiß man aber auch, dass man das meiste noch nicht weiß. Ich bin mir klar darüber, dass es nicht bei dem rationalen Weltbild bleibt, das wir jetzt haben, sondern dass es noch sehr viel mehr dahinter gibt.

Das kann ich sehr gut vereinbaren mit der Position als Wissenschaftler. Das Buch „Pale Blue Dot“ beschreibt die Perspektive, die die Voyagersonde auf dem Weg raus aus dem Sonnensystem noch einmal auf die Erde hatte: Man sieht sie als kleine blaue Pixel. Das zeigt sehr gut, wie zerbrechlich und einsam unsere Erde doch ist. Und wir haben nichts weiter als dieses kleine blaue Raumschiff. Das ist eine Perspektive, die einzigartig ist.

Was sagt Ihre Lebensgefährtin dazu?

Gerst: Meine Lebensgefährtin ist selbst Physikerin und fasziniert von der Raumfahrt. Sie hat mich oft besucht bei den Trainings. Auch meine Familie ist da sehr begeistert, auch schon bei meinen Forschungen in der Antarktis und auf Vulkanen. Und meine Freunde sind es gewohnt, wenn sie E-Mails von kuriosen Orten von mir bekommen — künftig dann von der ISS.

Was werden Sie vermissen?

Gerst: Wahrscheinlich die Alltagsdinge, die man da oben nicht hat. Mal ‘nen Salat essen, mal duschen, mal draußen im Regen joggen, was mir sehr viel Spaß macht. Das hab ich auch schon in der Antarktis gemerkt, wo’s nie geregnet hat. Als ich zurückkam, hab ich draußen im Regen gestanden und mich gefreut, wie das riecht.