Boskop und Berlepsch Alte Apfelsorten finden immer mehr Liebhaber
Gnotzheim (dpa) - Sie heißen Zwiebelborsdorfer, Roter Herbstkalvill oder Kesseltaler Streifling - und sie werden von Maria Gentner liebevoll gehegt und gepflegt.
Mit ihrer „Obstarche“ hat es sich die Agraringenieurin aus Mittelfranken zur Aufgabe gemacht, alte und regionale Apfel- und Birnensorten zu erhalten. „Die Bäume würde es nicht mehr geben, wenn wir sie nicht gerettet hätten“, sagt die 50-Jährige. Mehr als 100 verschiedene Apfel- und Birnensorten wachsen auf ihrer 2,5 Hektar großen Wiese in Gnotzheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen - auf einer Anhöhe mit weitem Blick ins Tal.
„Diese alten Sorten sind ein Kulturgut“, sagt Gentner, sie müssten daher erhalten werden. Längst sind viele Sorten unwiederbringlich verschwunden. Obstkundler gehen davon aus, dass es im 19. und 20. Jahrhundert mindestens 2000 bis 3000 Apfelsorten im deutschsprachigen Raum gab. „Dies ist aber eher die untere Grenze“, sagt Jens Meyer vom Erhalternetzwerk Obstsortenvielfalt. „Es könnten auch 4000 bis 5000 Sorten gewesen sein.“ Er geht davon aus, dass die Hälfte der von Pomologen - Obstbauexperten - beschriebenen Sorten verschwunden sind oder nicht mehr erkannt werden.
In Supermärkten sind nur noch etwa 15 Sorten Äpfel zu finden, die letztlich auf nur drei Sorten basieren. „Ein paar Sorten haben sich herauskristallisiert, die der Handel haben will“, erklärt Zimmermann. Ein süßer, fruchtiger Geschmack, gute Erträge, Fruchtgröße und Einheitlichkeit waren ausschlaggebend. Diese Äpfel sind jedoch oft pflegeintensiv und werden auf Plantagen angebaut.
Alte Sorten wachsen dagegen meist auf Streuobstwiesen. Allein in Bayern seien in den vergangenen 50 Jahren etwa 14 der einst 20 Millionen Streuobstbäume verloren gegangen, sagt Norbert Metz vom Landschaftspflegeverband Mittelfranken. „Damit sind auch in hohem Umfang Sorten verloren gegangen.“ Meyer vom Erhalternetzwerk ergänzt: Historische Obstsorten seien in Deutschland je nach Region noch weit verbreitet - „allerdings vor allem in alten Bäumen, so dass die Zukunft nicht besonders rosig aussieht“. In Mecklenburg zum Beispiel gebe es noch reichlich alte Bäume. „Aufgrund der Altersstruktur gehe ich aber davon aus, dass der größte Teil in 20 Jahren verschwunden ist.“
Dabei lohnt es sich aus mehreren Gründen, historische Obstsorten zu erhalten: Für Neuzüchtungen ist ein großer Genpool sinnvoll. Einige der alten Apfelsorten sind zudem weniger anfällig für Krankheiten wie Obstbaumkrebs, Mehltau oder Schorf. Niemand wisse, welche Krankheiten es künftig beim Obst gebe, sagt Alexander Zimmermann von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Daher könne es nützlich sein, auf alte Sorten zurückgreifen zu können. Auch der Massengeschmack könne sich ändern. „Wir testen gerade Liebhabersorten wie etwa den Berlepsch - ob die nicht auch was für den Erwerbsanbau, für die Direktvermarktung sind.“
Außerdem vertragen Allergiker alte Apfelsorten oft besser. Sie enthalten mehr Polyphenol, das herausgezüchtet wurde, um die Braunfärbung beim Anschnitt zu verhindern. Die Stoffe können jedoch Allergene im Körper binden. Eine Studie der Berliner Charité ergab, dass der regelmäßige Verzehr von alten Apfelsorten wie etwa Alkmene, Jonathan und Boskop „in der Lage ist, die bestehende Apfelallergie nicht vollkommen zu beseitigen, wohl aber die Beschwerden beim Essen von Äpfeln deutlich zu reduzieren“.
Unabhängig von der Sorte hat die Anbauweise auf der Streuobstwiese weitere Vorzüge - vor allem im Hinblick auf Klimawandel und Insektensterben. Weil das Wurzelwachstum hier ausgeprägter ist als im Plantagenanbau, sind die Bäume weniger anfällig für heiße oder trockene Wetterlagen, wie Zimmermann sagt. „Wir haben zunehmend heiße Frühjahre. Das ist Stress für die Bäume“, ergänzt Landespfleger Norbert Metz. „Es kann durchaus sein, dass uns alte Sorten eine Chance bieten, dass auch in 30, 40 Jahren bei noch höheren Temperaturen noch gesundes Obst wächst.“
Und für Bienen und Wildtiere bieten Streuobstwiesen gute Lebensbedingungen. „Da sie selten oder nie gemäht werden, können sich Tiere hier leichter ansiedeln“, sagt Zimmermann. Nach Angaben des Landschaftspflegeverbandes können bis zu 5000 Tier- und Pflanzenarten auf so einer extensiv bewirtschafteten Fläche leben.
Das Interesse an Streuobst wachse aktuell wieder, sind sich alle Experten einig. Die Gründe seien Trends wie Regionalität bei Lebensmitteln sowie ein zunehmendes Gesundheits- und Umweltbewusstsein. „Plantagenobst wird 20 Mal im Jahr gespritzt“, sagt Maria Gentner. „Ich spritze und ich dünge nicht. Der Baum muss sich hier sein Leben selbst erarbeiten.“ Sie bekomme Anfragen von Privatleuten aus ganz Deutschland, die auch alte Obstsorten anbauen wollen.
Auch wenn ein Projekt wie ihre „Arche“ nur mit viel Idealismus machbar sei, betreibe sie es gern, betont Gentner. „Alte Streuobstwiesen faszinieren mich. Sie tun dem Auge, der Landschaft und der Gesundheit gut.“ Auf der Plantage sind alle Bäume und Sorten beschildert - mit Beschreibungen, Nutzung und Ursprung. Dass hier an einer Stelle so viele Sorten auf kleinem Raum zu finden seien, sei schon etwas Besonderes, sagt Landschaftspfleger Metz. Gentners Ziel ist, irgendwann Vorträge zum Thema zu halten. Bisher wandeln Besucher vorwiegend auf eigene Faust zwischen ihren alten Bäumen umher.