Atomkraftwerke: Belgien will Jodtabletten verteilen

Die Ankündigung des Nachbarlandes sorgt im Streit um alte Atommeiler für Unruhe. Städteregion Aachen möchte das Mittel ebenfalls den unter 45-Jährigen zur Verfügung stellen.

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Brüssel/Heinsberg. Nach der Ankündigung Belgiens, im nächsten Jahr Jod-Tabletten zum Schutz vor radioaktiver Strahlung an die Bevölkerung auszuteilen, wird dies auch in der Region Aachen gefordert. Städteregionsrat Helmut Etschenberg will NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) ebenfalls bitten, der Verteilung der bereits eingelagerten Tabletten an alle bis 45 Jahre alten Einwohner zuzustimmen.

Nach dem Willen des belgischen Gesundheitsministeriums soll die Jodvorsorge ausgeweitet werden. Betroffen seien dann alle Bürger in einem Umkreis von 100 Kilometern um ein Atomkraftwerk, sagte eine Sprecherin der Behörde. Bisher werden die Tabletten nur in einem Umkreis von 20 Kilometern verteilt. Dies entspricht de facto einer Verteilung an alle Bürger, weil nicht nur die umstrittenen belgischen AKW Tihange und Doel, sondern auch französische und niederländische AKW in der Nähe der belgischen Grenze liegen. Die Folgen der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima hätten gezeigt, dass ein größerer Bereich nötig sei, um die Bevölkerung zu schützen, sagte eine Sprecherin des belgischen Gesundheitsministeriums.

Etschenberg betonte, die belgische Entscheidung bestätige die Sorgen im Raum Aachen. „Offensichtlich gibt es nun auch auf belgischer Seite erhebliche Vorbehalte, was die Sicherheit der Kraftwerksblöcke betrifft.“ In Deutschland gibt es erhebliche Zweifel an der Sicherheit der Atomkraftwerke Doel in der Nähe von Antwerpen und Tihange bei Lüttich. Erst vergangene Woche hatten Deutschland und Luxemburg Belgien dazu aufgefordert, die Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 vom Netz zu nehmen. Bei beiden waren unter anderem Materialfehler in den Reaktordruckbehältern festgestellt worden. Das Atomkraftwerk Tihange liegt rund 60 Kilometer von der deutschen Grenze bei Aachen entfernt, Doel liegt 130 Kilometer von der Bundesrepublik entfernt im Norden Belgiens.

NRW-Innenminister Ralf Jäger hält allerdings nichts von einer Vorabverteilung von Jod-Tabletten. Im Ernstfall wüssten die Menschen möglicherweise nicht, wo die Tabletten seien. Zudem müssten sie zu einem bestimmten Zeitpunkt eingenommen werden, um zu wirken, sagte der Innenminister. Das Land besteht daher weiter auf der zentralen Lagerung der Jodtabletten in den Kommunen. Man werde den Behörden in der Region Aachen, Düren und Heinsberg nicht erlauben, die Tabletten an die Bevölkerung zu verteilen.

Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace

Die Wirkung von Jodtabletten im Ernstfall ist zudem umstritten: Der Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital kommentierte die beabsichtige Pillen-Ausgabe so: „Jodtabletten schützen etwa so gut vor einem Reaktorunfall, wie ein Cocktailschirmchen vor einem Wolkenbruch.“

Zudem sind bisher gar nicht ausreichend Tabletten eingelagert worden. Käme es zu einem Störfall in Tihange, lägen in den zentralen Depots viel zu wenige Jodtabletten. In der Städteregion Aachen fehlen 84 Prozent der nötigen Menge, im Kreis Düren 39 Prozent und im Kreis Heinsberg 21 Prozent. Das teilte eine Sprecherin des Innenministeriums mit. Grund sind Beschaffungsprobleme. Das Land hatte beschlossen, die Jodtabletten in Eigenregie zu besorgen. Die Ausschreibung dafür laufe aber noch. ela/mgu/cs/disch/dpa