Entwicklung ist „alarmierend“ Bundesamt warnt: Agrarwende muss Vögel und Insekten retten

Berlin (dpa) - Die Lage für Vögel, Insekten, Pflanzen und ganze Lebensräume in Agrarlandschaften verschlechtert sich einem Bericht des Bundesamts für Naturschutz zufolge dramatisch.

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„Praktisch alle Tier- und Pflanzengruppen in der Agrarlandschaft sind von einem eklatanten Schwund betroffen“, teilte die Präsidentin des Bundesamts, Beate Jessel, in Berlin mit. Die Entwicklung sei „alarmierend“, es brauche dringend eine Kehrtwende in der Agrarpolitik.

Der Report mache einmal mehr deutlich, dass sich Artenvielfalt in der Agrarlandschaft im rasanten Sinkflug befinde, hieß es in einer Reaktion des Naturschutzbundes (Nabu). „Pestizid-Einsatz und monotone Kulturen sorgen dafür, dass Insekten weniger werden, Vögeln Nahrung und Lebensraum fehlt.“

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat für seinen Agrar-Report mehrere Studien zur Entwicklung der Natur in der Agrarlandschaft zusammengeführt. Besonders brisant ist die Lage demnach für Insekten und Vögel. Zum Beispiel sind demnach 41 Prozent der 560 Wildbienenarten gefährdet. Verschiedene Studien hätten zudem einen drastischen Rückgang der gesamten Insektenbiomasse nachgewiesen.

Bei den Ackerwildkräutern sieht es ebenfalls schlecht aus: Früher verbreitete Arten wie der Acker-Rittersporn seien kaum noch zu finden, ebenso das Sommer-Adonisröschen. Der einstmals verbreitete Feldhamster sei vom Aussterben bedroht.

Zwischen 1990 und 2013 seien die Bestände des Kiebitz um 80 Prozent zurückgegangen, die der Uferschnepfe um 61 Prozent und die der Feldlerche um 35 Prozent. Gründe seien eine intensivierte Nutzung der Flächen, der Wegfall von Ackerbrachen, vergrößerte Ackerschläge und fehlende Randstreifen.

Auch Wiesen, auf denen viele Pflanzen blühen, und Weiden stehen unter Druck. Grünland mit hoher biologischer Vielfalt ist in der Agrarlandschaft dem Report zufolge allein 2009 bis 2015 um 9 Prozent zurückgegangen. „Zwar scheint der Flächenverlust gestoppt, aber wir müssen eine weiter anhaltende deutliche qualitative Verschlechterung des Grünlands feststellen“, sagte Jessel. Grund sei, dass immer intensiver bewirtschaftet werde.

„Um die Artenvielfalt zu erhalten, reichen die Reförmchen des Agrarministeriums wie zuletzt bei der Düngeverordnung nicht aus“, erklärte der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weiger, in einer Reaktion auf den Report. „Wir brauchen grundlegende Agrarreformen in Berlin und auch in Brüssel.“ Die auf Agrochemie und auf industrieller Tierhaltung basierende Landwirtschaft sei Hauptverursacher des Artensterbens.

Der Verlust von Insekten schade nicht nur der Landwirtschaft selbst, die auf Bestäubung angewiesen sei, heißt es in der BfN-Mitteilung. Von intensiver Bewirtschaftung sei zudem die breite Bevölkerung betroffen, wenn etwa wegen Überdüngung die Wasserqualität schlechter werde. Damit werde eine nicht naturverträgliche Landwirtschaft auch für die Volkswirtschaft auf Dauer teuer. Die Agrarpolitik der EU und ihre Umsetzung in Deutschland hätten dabei „versagt“, Artenvielfalt zu erhalten.

Als Beispiel werden die Vorschriften für ökologische Vorrangflächen und das sogenannte Greening genannt. Die Anforderungen für den überwiegenden Teil dieser Flächen würden durch den Anbau von Zwischenfrüchten und Leguminosen erfüllt, die keinen Mehrwert für die biologische Vielfalt erbrächten, erklärte Jessel. „Gemessen an den eingesetzten Finanzmitteln — jährlich werden etwa 1,5 Milliarden Euro als Greening-Prämie für Landwirte in Deutschland vorgesehen — müssen die Vorrangflächen wie auch das Greening als solches daher als weitgehend wirkungslose und gleichzeitig zu teure Fehlentwicklung bezeichnet werden.“

Damit nicht nur Agrar-Großbetriebe von EU-Prämien profitierten, müsse öffentliches Geld an öffentliche Leistungen gekoppelt werden, hieß es vom BUND-Vorsitzenden Weiger. Landwirte hätten über Jahrhunderte die vielfältige Kulturlandschaft und zahlreiche Arten und Lebensräume bewahrt. „Statt weiter auf die exportorientierte Landwirtschaft zu setzen, brauchen wir eine bäuerlich-ökologische Agrarwende — weg vom Weltmarkt, wieder hin zum Wochenmarkt.“